: Mehr Hilfe für Familien in Not
AUFSTOCKUNG Jugendämter erhalten nach Chantals Tod dauerhaft mehr Personal. Doch nicht alle Stellen sind besetzt und Mehrbelastung durch Flüchtlinge bleibt außen vor
von Marco Carini
Dreieinhalb Jahre nach dem Methadon-Tod der elfjährigen Chantal und zwei Jahre nach dem gewaltsamen Tod der dreijährigen Yagmur bekommen Hamburgs Jugendämter eine dauerhaft bessere Personalausstattung. Nach einem neuen „Bemessungssystem“, das der scheidende Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) am Dienstag präsentierte, bleiben die im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) nach den Todesfällen befristet eingerichteten Stellen dauerhaft bestehen.
Im Vergleich zum Personalbestand von Ende 2014 wächst die Zahl der Stellen von 370,7 auf 446,2 und damit um 75,5 Vollzeitstellen. Die meisten von ihnen – 74,3 Stellen – waren aber schon als Feuerwehrmaßnahme in den vergangenen Monaten geschaffen worden, wenn auch mit Verfallsdatum.
Alle Akteure einigten sich auf ein Messsystem, nachdem die nötige Stellenausstattung genau berechnet und veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden kann. Mitarbeiter des ASD, Personalräte und Behörden- sowie Bezirksmitarbeiter waren an dem Personalbedarfsplan beteiligt.
Für Scheele trägt der neue Personalplan dazu bei, „den ASD zu stabilisieren“, die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Anna Gallina sieht ihn nun „personell gut genug aufgestellt, um eine hohe Qualität erbringen zu können“. Die höchsten prozentualen MitarbeiterInnen-Zuwächse verzeichnen nach dem neuen System Wandsbek und Harburg mit einem satten Plus von um die 30 Prozent. Nur wenig mehr Arbeitskraft gibt es hingegen im Vergleich zu 2014 für die Bezirke Nord (5,4 Prozent) und Eimsbüttel (12,3 Prozent).
Doch hinter dem Personalzuwachs verbergen sich aus Sicht der Gewerkschaften und der Opposition zahlreiche Probleme, die das Personalplus nicht überdeckt. So ist im derzeitigen Stellenplan die Zusatzbelastung durch eintreffende Flüchtlingsfamilien nicht einberechnet. Erst Mitte 2016 sollen die reale Fallzahl und die Arbeitsbelastung des ASD neu vermessen, danach der Personalschlüssel angepasst werden. Die ASD-MitarbeiterInnen müssen also in Vorleistungen treten.
Dass die absehbare Mehrbelastung durch Flüchtlingsfamilien nicht in die Personalausstattung aufgenommen wurde, wird bei der Gewerkschaft Ver.di hinter vorgehaltener Hand beklagt, die Entfristung der 75 Stellen aber offiziell begrüßt.
Ein weiteres Problem: Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung bei geringem Gehalt herrscht in vielen Jugendämtern eine extreme Personalfluktuation. „Die Arbeitsbedingungen sind nach wie vor problematisch“, sagt die Fraktionschefin der Linken, Sabine Boeddinghaus: Allein in der ersten Hälfte des laufenden Jahres seien 33 ASD-MitarbeiterInnen ausgeschieden. Derzeit sind laut Sozialbehörde 24 Stellen unbesetzt.
Ob sie überhaupt mit fachlich geschultem Personal besetzt werden können, ist fraglich: Der Ganztagsschul- und Kita-Ausbau und neue Angebote für Flüchtlinge haben das sozialpädagogische Personal aus dem Arbeitsmarkt gefegt. „Ein Sozialpädagoge der heute arbeitslos ist, muss sich schon Fragen gefallen lassen“, frozzelte Scheele. Durch Zusatzausbildungen müsse fachfremdes Personal für Aufgaben beim ASD nachqualifiziert werden. Doch das wird dauern.
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