piwik no script img

SS-Helferin aus Auschwitz angeklagt

NS-Verbrechen Die Staatsanwaltschaft Schleswig will eine 91-Jährige zur Rechenschaft ziehen, die als Funkerin in dem Vernichtungslager tätig war

Die Staatsanwaltschaft des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts hat Anklage gegen eine 91-Jährige wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 260.000 Fällen erhoben. Die Beschuldigte war 1944 als 20-Jährige als Funkerin im Konzentrationslager Auschwitz tätig.

Der Schleswiger Generalstaatsanwalt Heinz Döllel ist zurückhaltend, was Informationen zur Beschuldigten anbelangt, doch er deutet an, dass die Frau verhandlungsfähig sei: „Wir haben keine Anzeichen dafür festgestellt, dass sie es nicht ist“. Dem Vernehmen nach hat sie kein Geständnis abgelegt.

In Gang gekommen ist das Verfahren, weil es eine grundsätzliche Neuorientierung der Rechtsprechung gibt. Seit dem Prozess gegen die Helfer des Attentats von 9/11 und dem Demjanjuk-Prozess gegen einen Helfershelfer im Vernichtungslager Sobibor, gelten neue Maßstäbe für Beschuldigte, die nur mittelbar an Massentötungen beteiligt waren.

Bis dahin wurde die Unterstützung bei den Massentötungen etwa in den KZs nur dann verfolgt, wenn sich ein konkreter Beitrag der Beschuldigten und eine genau identifizierbare Opfergruppe nachweisen ließ. Nun gilt jeder Beitrag zu Massentötungen, auch untergeordneter Art, als strafbar. Im Zuge dieser Neuorientierung hat die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die NS-Straftaten verfolgt, die Ermittlungen gegen die 91-Jährige Ende 2014 nach Schleswig weitergegeben.

Die Staatsanwaltschaft rechnet 2016 mit einer Entscheidung des Landgerichts, ob die Anklage zugelassen wird. Wann dann eine Hauptverhandlung eröffnet wird, ist laut Sprecher des Landgerichts unklar.

Man sei sich aber bewusst, „dass die Dame fortgeschrittenen Alters ist“. In Hamburg ist das Verfahren gegen einen früheren SS-Kompanieführer unlängst wegen Verfahrensunfähigkeit des 93-Jährigen eingestellt worden. GRÄ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen