ARD-Film „Über den Tag hinaus“: Kitsch-Pendel im Lot
Wieder ein Film über Alter, Tod und Demenz in der ARD: Klischeefrei, aber an das Genre-Meisterstück kommt er nicht heran.
Für einen deutschen Fernsehfilm sind das schon mal ungewohnte Schauwerte: Split Screen am Anfang und später eine Kamera-Kreisfahrt à la Michael Ballhaus um die beiden Hauptfiguren herum (Kamera: Philipp Timme). „Über den Tag hinaus“ (Regie: Martin Enlen) ist – beinahe – ein Zweipersonenstück und spielt an einem einzigen Tag.
Für Schauspieler ist so eine „Before Sunrise“-Konstellation natürlich ein Glücksfall. So wie dieser Fahrgast für jeden Taxifahrer, selbst wenn er gerade eine Nachschicht hinter sich hat und eigentlich nur noch schlafen will. So wie Greta Tullner (Katja Studt), als der Mann (Horst Sachtleben) ihr das Angebot macht: „Was würden Sie den ganzen Tag kosten? Ich meine, was würde es kosten, wenn Sie mich den ganzen Tag fahren würden? [...] Schlafen können Sie noch ein ganzes Leben, Frau Tullner. Außerdem werde ich zahlen, was Sie verlangen. Geld spielt keine Rolle. Also. Am besten Sie denken sich eine Summe aus. Pauschal.“
Für einen Mann von über 80 hat Walter Singer viele Termine an diesem Tag. Und im Unterschied zu Greta ahnt der altgediente TV-Gucker bald, worauf das hinauslaufen soll. Die Gesellschaft wird immer älter, das ARD-Publikum sowieso. Da ist die beachtliche Zahl an Filmen, die sich zuletzt mit Alter, Tod und Demenz befasst haben, nur logisch. Für die Drehbuchautorin Edda Leesch ist es nach „Das Gewinnerlos“ bereits der zweite Film dieses florierenden TV-Genres in diesem Jahr. Und wie schon im Mai geht sie es vergleichsweise leicht an.
Greta ist mit ihren 41 Jahren eine arg frustrierte Frau, in Liebe und Beruf ist es in nicht so gelaufen, wie sie sich das einmal gedacht hatte. Gentleman Walter dagegen scheint mit sich im Reinen – erst später wird offenbar, dass er in seinem Leben einen schweren Verlust zu verkraften hatte. Die beiden fahren also Taxi, durch die Stadt (Frankfurt), aufs Land, sie reden und reden, gehen mal behutsam und mal brutal miteinander um.
Mittwoch, 9. September, 20.15 Uhr, ARD
Walter hat eine Vorliebe für Kalendersprüche (“Es ist nie zu spät, zu sein, was man will.“), Greta hält das Kitsch-Pendel mit ihrer etwas übertriebenen Schnoddrigkeit im Lot. Da geht dann sogar das gemeinsame in den Nachthimmel gucken und Sternschnuppen zählen in Ordnung. Das Genre-Meisterstück „Altersglühen“ stammt aus dem vergangenen Jahr und bleibt Lichtjahre entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“