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Griechenland vor der WahlDie Wahl der Qual

Ob Tsipras die Wahl gewinnt, ist noch unklar. Klar ist dagegen die lange Liste von Aufgaben, denen sich der Wahlgewinner sofort stellen muss.

Ein riesiges Wahlplakat mit dem Konterfei Tsipras‘ prangt am Syntagma-Platz: In Athen ist Wahlkampf. Foto: reuters

ATHEN taz | Open-Air-Veranstaltungen im milden Herbstwind, TV-Duelle, gegenseitige Korruptionsvorwürfe, Wahlversprechen ohne Ende: Hellas ist voll im Wahlkampf-Fieber angekommen. Und das zum dritten Mal innerhalb von nur acht Monaten: Am 25. Januar feierte das Wunderkind der Linkspartei, Alexis Tsipras, einen fulminanten Wahlsieg, am 5. Juli wehrten sich über 60 Prozent der Wähler gegen die schmerzhaften Sparvorschläge der internationalen Kreditgeber.

Nun will es Tsipras noch einmal wissen und bittet das Wahlvolk um ein „noch stärkeres Mandat“ an diesem Sonntag, damit er sowohl seine Reformpolitik im Inland als auch die schwierigen Verhandlungen im Ausland fortsetzen kann. Laut den Umfragen gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen seiner linken Syriza und der Mitte-rechts-Partei Nea Dimokratia.

Tsipras‘Hauptversprechen lauten: Kampf der Misswirtschaft und Korruption, Umstrukturierung der griechischen Schulden, Neuverhandlung über Privatisierungen, Arbeitsmarktreformen und weitere Streitpunkte der aktuellen Vereinbarung mit den Geldgebern.

Dabei muss der Wahlsieger nur wenige Tage nach dem Urnengang, nämlich schon in der ersten Oktoberwoche, seinen Entwurf für den Haushaltsplan 2016 vorlegen. Ob bei dem Termindruck genug Spielraum für Verhandlungen verbleibt? Über diese Frage wird nur ansatzweise im emotional geführten Wahlkampf diskutiert.

Bis Jahresende realisieren

Eine Ausnahme erlaubte sich neulich die konservativ-liberale Tageszeitung Kathimerini. Das Blatt veröffentlichte eine umfassende Liste aller Sparziele und -auflagen, die nach der jüngsten Kreditvereinbarung mit den Geldgebern bis Ende 2018 zur Umsetzung anstehen: insgesamt 223 Einzelmaßnahmen, von Steuererhöhungen über die längst versprochenen Privatisierungen bis hin zu Reformansätzen beim Renten- und Sozialversicherungssystem.

taz.am wochenende

Empathie ist ein unpolitisches Gefühl. Manche erkennen in den Flüchtlingen sich selbst. Manche sehen in ihnen das Fremde, das die eigene Gruppe bedroht, der wiederum ihre Empathie gilt. In der taz.am wochenende vom 19./20. September 2015 gehen wir der Frage nach, wie Mitgefühl funktioniert, was es bewirkt und ob daraus Politik werden kann. Außerdem: Selbstfahrende Autos sind gut für die Umwelt, drängeln nicht und sind nie betrunken. Retten sie die die Autoindustrie? Und: Christian Walliser betreibt mit seinem Mann Jan einen Raubtierhof im Schwarzwald. Das alles gibt's am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

157 dieser Maßnahmen sollen laut Vereinbarung unverzüglich und spätestens bis Ende 2015 realisiert werden. Am schlimmsten wird die Regierungszeit bis Sommer 2016, zumal bis dahin Rückzahlungen von insgesamt 18,2 Milliarden Euro anstehen.

14 Flughäfen und der Hafen der zweitgrößten Stadt Thessaloniki sind privatisiert. Doch nicht nur im Parlament wird darüber gestritten: Am Montag vor der Wahl demolierte eine anarchistische Gruppe die Zentrale der Privatisierungsbehörde in der Athener Innenstadt – als Warnung gegen einen „Ausverkauf“ von Staatseigentum.

Den jüngsten Äußerungen vieler Politiker ist zu entnehmen, dass nach der Parlamentswahl wichtige Reformen im Bildungs- und Gesundheitsbereich anstünden. Die Bildungspolitik steckt voller Tücken: Die Linkspartei Syriza lehnt etwa eine „Evaluierung“ der Arbeit bei Lehrern öffentlicher Schulen ab, während die konservative Opposition sie befürwortet.

Feilschen um Steuern

Uneins sind die Hauptkontrahenten auch über die Frage, ob die sogenannten Experimentalschulen weiterhin gefördert werden. Es handelt sich um öffentliche Schulen mit einem besonderen Lernprogramm und dem Ziel, hochbegabte Schüler zu fördern. Syriza-Bildungsexperte und Exminister Aristeidis Baltas will verhindern, dass dort ein „Konkurrenzdenken“ zwischen den Schülern entsteht. Sein konservativer Gegenspieler Theodoros Forzakis wirft ihm ideologische Verblendung vor.

Einigkeit besteht zwischen Linken und Konservativen immerhin darüber, dass die neulich eingeführte Umsatzsteuer von 23 Prozent auf Privat- und Sprachschulen ein Fehler war. Das Problem dabei: Auch diese Steuer war Teil der jüngsten Vereinbarung mit den Gläubigern und soll mindestens 250 Millionen jährlich in die Staatskasse bringen.

Deshalb wird sie nur dann abgeschafft, wenn der neuen Regierung eine Maßnahme gleicher Wirkung einfällt, die genauso viel Geld einbringt. Ein Beispiel wäre die (abermalige) Erhöhung der Tabaksteuer. Allein eine Preiserhöhung von 50 Cent pro Schachtel Zigaretten brächte Mehreinnahmen in Höhe von 550 Millionen Euro jährlich, erklärte neulich die Athener Industrie- und Handelskammer.

Nicht zuletzt der griechische Jungbauernverband schlägt eine Erhöhung der Tabaksteuer vor. Allerdings in seinem eigenen Interesse, nämlich als Ersatzmaßnahme für die ursprünglich geplanten Steuerbelastungen der Bauern – zumal sie mit der Abschaffung des Grundfreibetrags und einer Verdreifachung der Sozialversicherungsbeiträge bei Landwirten einhergehen.

Tsipras braucht Parteidisziplin

Überhaupt: Solche „Maßnahmen gleicher Wirkung“ gelten in Wahlkampfzeiten als neues Wunderrezept in der Athener Politik. Durch diese Maßnahmen sollen bereits vereinbarte Sparauflagen modifiziert oder sogar rückgängig gemacht werden, versprechen linke und konservative Wahlkämpfer unisono.

Solche Verhandlungen mit den Kreditgebern laufen leichter, wenn die neue Regierung Vorleistungen bringt. Ob dies Tsipras als Regierungschef gelingt, hängt nicht zuletzt von der Frage der Parteidisziplin bei Syriza ab. Bereits Mitte August, nachdem das Parlament ein neues, schmerzhaftes Sparpaket verabschiedet hatte, verließen Dutzende Linksabgeordnete die Partei von Tsipras und riefen ihre eigene linksradikale Partei um Exminister Panagiotis Lafazanis ins Leben.

Nach der Wahl hat Tsipras die zusätzliche Aufgabe, die eigene Truppe bei Laune zu halten, doch das wird nicht einfach: In den vergangenen Woche hat sich innerhalb der Syriza-Partei die sogenannte Bewegung der 53 bemerkbar gemacht, die eine Art interner Opposition bildet.

Mit dabei sind insgesamt 53 Abgeordnete, die zwar grundsätzlich für das Sparpaket gestimmt haben, nun aber Parteichef Tsipras warnen, sie lehnten einzelne Anwendungsgesetze ab, in denen besonders schmerzhafte Sparauflagen konkretisiert würden. Aber erst einmal muss die Wahl gewonnen werden.

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