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Zwischen Anspruch und Realität

INTERNATIONALE GRÜNE WOCHE Ökologischer Landbau und artgerechte Tierhaltung spielen in den Messehallen nur eine untergeordnete Rolle. Doch es gibt Anzeichen für einen Bedeutungsgewinn von Themen wie Biolebensmittel oder nachhaltiges Wirtschaften

Rund um die IGW

■ Die 78. Internationale Grüne Woche Berlin (IGW) findet seit gestern bis zum 27. Januar in den Berliner Messehallen statt. Weitere Infos: www.gruenewoche.de

■ Traditionell ist sie auch Anlass für Kritiker der industrialisierten Landwirtschaft und Massentierhaltung, auf die Straße zu gehen: Die diesjährige Demo startet heute um 11 Uhr unter dem Motto „Wir haben Agrarindustrie satt!“ am Hauptbahnhof. Weitere Infos: www.wir-haben-es-satt.de

■ Wer danach die Grüne Woche besuchen will und sich neben dem Probieren von Bioleckereien für Fakten und die Realität des Ökologischen Landbaus interessiert, besucht am besten die Halle 6.2a – oder am 25. Januar die Vorträge zum „Tag des Ökologischen Landbaus“ in Halle 7.3 (9.00–12.30 Uhr).

■ Einen Tag vorher, am 24. Januar um 16.00 Uhr, wird in der Halle des Landwirtschafts-Verbraucherschutz-Ministeriums (Halle 23a) das neue Regionalfenster vorgestellt. Weitere Informationen: www.regionalfenster.de (ole)

VON OLE SCHULZ

Der Titel zumindest klingt vielversprechend: „Natürlich erfolgreich“ lautet das Motto der 78. Internationalen Grünen Woche (IGW) in Berlin. Als gutes Omen mag man auch werten, dass die international wichtigste Messe für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau 2013 nicht von einem Lebensmittelskandal überschattet wird wie in den Vorjahren. Doch weiterhin spielen der Ökologische Landbau oder die artgerechte Tierhaltung in den Messehallen nur eine untergeordnete Rolle, wenn es auch Zeichen für einen allmählichen Bedeutungsgewinn von Themen wie Biolebensmittel oder nachhaltiges Wirtschaften gibt.

Einerseits informiert die Fachschau „nature.tec“ in Halle 5.2a zwar über Bioenergie und nachwachsende Rohstoffe. Die Veranstalter von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR), dem Bundesverband BioEnergie (BBE) und dem Deutschen Bauernverband (DBV) betonen dabei insbesondere „die große Bedeutung der 2013 anstehenden Bundestagswahl für die weitere Entwicklung der nachwachsenden Rohstoffe im Allgemeinen und der Bioenergie im Speziellen“. Doch was bedeutet das für den Anbau ökologischer Lebensmittel?

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) kritisiert erneut, dass durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) der Anbau von Maismonokulturen für Biogas-Anlagen besonders lukrativ ist. „Für den umwelt- und tiergerechten Ökolandbau ist es innerhalb dieser politischen Rahmenbedingungen kaum noch möglich, wettbewerbsfähig zu bleiben und die Ökoflächen in Deutschland auszuweiten“, stellt BÖLW-Geschäftsführer Alexander Gerber fest.

Gleichzeitig gibt es aber auch positive Anzeichen für die Entwicklung des Biosektors: Nach zwei Jahren mit sehr kleinen Wachstumsraten hat der Markt ökologisch hergestellter Nahrungsmittel 2011 wieder deutlich an Fahrt aufgenommen. So stieg der Umsatz mit Bioprodukten 2011 laut BÖLW um 9 Prozent, und im ersten Quartal 2012 hat er gegenüber dem Vorjahresquartal noch einmal um gut 3 Prozent zugelegt. Der Bioanteil am gesamten Lebensmittelmarkt lag damit trotz der Wachstumsraten 2011 aber immer noch unter 4 Prozent.

Wer nun auf der IGW selber Bioköstlichkeiten probieren möchte und sich für den Ökologischen Landbau interessiert, kann den „BioMarkt“ in Halle 6.2a besuchen. Dort debattieren an Gemeinschaftsständen der Anbauverbände Bioland, Demeter, Naturland, Biopark und Biokreis Experten über aktuelle Trends. „Bio-Spitzenkoch“ Bernd Trum bereitet dort für die Besucher täglich auf der Bühne Speisen zu – von Reis-Energiebällchen mit getrockneten Aprikosen über Steckrüben-Grünkohl-Gemüse bis Filet-Tofu-Spießen mit Kürbis.

Auf der IGW wird eine neue regionale Kennzeichnung von Lebensmitteln vorgestellt

Ein Trend ist bei der 16. Ausgabe des „BioMarkts“ unverkennbar: Regionalität wird immer wichtiger. Gerade dafür seien politische Weichenstellungen gefragt, sagt BÖLW-Geschäftsführer Alexander Gerber, denn zurzeit werde „auf nur etwa 6 Prozent deutscher Äcker ökologisch gewirtschaftet“. Vom Ziel der Bundesregierung, den Ökoanteil der landwirtschaftlichen Fläche auf 20 Prozent zu erhöhen, sei man „noch weit entfernt“, so Gerber. 2013 dürfte für die weitere Entwicklung ein wichtiges Jahr sein, Weichen würden bei der Reform der EU-Agrarpolitik wie der Bundestagswahl gestellt.

Immerhin soll auf der IGW eine neue regionale Kennzeichnung von Lebensmitteln vorgestellt werden, das „Regionalfenster“. Das auf Initiative des Landwirtschafts-Verbraucherschutz-Ministeriums geschaffene Label, das sich derzeit noch in der Testphase befindet, soll eine bundesweit einheitliche, freiwillige geografische Herkunftsdeklaration sein, die an Mindestkriterien gekoppelt ist. Zu den Gründungsmitgliedern des Trägervereins zählen neben den Bioverbänden Demeter, Bioland und Naturland auch Supermarktketten wie Edeka Südwest und die Rewe.

Voraussichtlich ab April dürften Verbraucher auf bestimmten Lebensmitteln in ausgewählten Regionen einen rechteckigen hellblauen Aufdruck mit dem Schriftzug „Regional – neutral geprüft“ finden. Über die Kriterien für die neue Regional-Kennzeichnung gibt es intern noch Diskussionen. Das Label wird weder Aussagen über die Produktqualität noch über eine ökologische Herstellung treffen. Dennoch sind die Bioverbände laut Naturland-Geschäftsführer Steffen Reese maßgeblich an seiner Ausgestaltung beteiligt: „Die Biobranche hat viel Erfahrung mit Kontrollsystemen.“ Und dieses Know-how sei bei der Umsetzung eines mehrstufigen Prüf- und Sicherungssystems gefragt.

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