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Flüchtlingsdebatte in BrüsselNur Schuldzuweisungen aus Europa

Die EU-Mitglieder zeigen sich unfähig zu einer gemeinsamen Lösung der Flüchtlingskrise. Einigkeit besteht nur im Vorgehen gegen Schlepper.

EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mit ein paar Außenministern: Die EU-Familie kann sich nicht einigen. Foto: ap

Brüssel taz | Sind Deutschland und Österreich ein Vorbild für ganz Europa? Bringt die großzügige Hilfsaktion für die Flüchtlinge aus Ungarn die EU endlich auf Trab? Brüssel blieb auch an diesem Wochenende eine Antwort schuldig. Weder die EU-Kommission noch die 28 Außenminister, die sich am Wochenende in Luxemburg trafen, fanden eine Antwort auf die dramatischen Ereignisse.

Stattdessen: Schuldzuweisungen und Zögern. Nicht einmal ein Sondergipfel ist geplant, wie ihn Berlin und Wien vehement fordern. Es gebe momentan keine Pläne, ein Extratreffen der Staats- und Regierungschefs einzuberufen, sagte ein Sprecher von Ratspräsident Donald Tusk am Sonntag in Brüssel. Die Krise werde beim nächsten regulären Gipfel Mitte Oktober auf der Tagesordnung stehen.

Auch die EU-Kommission hat es nicht besonders eilig. Erst am Mittwoch will Kommissionschef Jean-Claude Juncker seine neuen Pläne für eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge enthüllen. Dabei sind die wichtigsten Details längst durchgesickert. Noch einmal 120.000 Migranten möchte Juncker auf die EU-Staaten verteilen, zusätzlich zu den bereits im Mai vorgeschlagenen 40.000 Menschen.

Der größte Teil davon würde nach Deutschland gehen, die Welt am Sonntag nannte die Zahl von 31.443. An zweiter und dritter Stelle kämen Frankreich (24.031) und Spanien (14.921). Demgegenüber sollen die Haupteinreiseländer Griechenland und Italien entlastet werden. Auch Ungarn würde nach diesen nicht bestätigten Angaben 54.000 Flüchtlinge abgeben.

Der slowakische Minister warnt vor Sogwirkung und „Einladung“

Allerdings bleibt weiter unklar, wie Brüssel diese Quoten seinen Mitgliedsstaaten schmackhaft machen und dann auch umsetzen will. Erst am Freitag hatten die so genannten Vizegrad-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei) ihr Nein zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge bekräftigt. Auch die baltischen Staaten lehnen eine verpflichtende Quote ab. Sie wollen nur freiwillig helfen – und sich „ihre“ Flüchtlinge selbst aussuchen.

Mr. Gnadenlos: David Cameron

Deutschland und Frankreich stehen zwar hinter Junckers Quotierungsplänen. Doch das dürfte nicht ausreichen, um die Quoten auch durchzusetzen. Immerhin stehen die Neinsager inzwischen unter einigem Rechtfertigungsdruck. Selbst der britische Premier David Cameron, der sich bisher als Mr Gnadenlos präsentiert hatte, hat sich unter dem Eindruck von Schockfotos eines ertrunkenen Flüchtlingskinds am Strand von Bodrum zur Aufnahme weiterer Syrer bereit erklärt.

Dennoch findet die EU keine gemeinsame Strategie, wie auch das Treffen der Außenminister in Luxemburg zeigte. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erkannte zwar die Bereitschaft, „sich stärker an einer europäischen Gesamtverantwortung zu beteiligen“. Gleichzeitig sah er sich aber mit Schuldzuweisungen wegen der Rettungsaktion für Flüchtlinge aus Ungarn konfrontiert.

Der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák, der zu den Hardlinern zählt, warnte vor einer „Sogwirkung“ und einer „Einladung“ an die Flüchtlinge, wenn Europa die Regeln zu Grenzsicherung und Asyl über Bord werfe. Die Krise in seinem Land sei eine Folge von „unverantwortlichen Erklärungen durch europäische Politiker“, kritisierte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó.

Lob für Österreich

Deutschland hat sich mit seiner Hilfe für die Flüchtlinge also nicht nur Freunde gemacht. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb Brüssel auch jeden offiziellen Kommentar verweigert. Nur die Außenbeauftragte Federica Mogherini ging kurz auf die Hilfe ein. Sie fand sogar lobende Worte – allerdings nur für Österreich. Eine Strategie zur Beruhigung der Lage konnte allerdings auch Mogherini nicht vorlegen. Nicht einmal bei der Analyse der Fluchtursachen kamen die Außenminister voran. Dass das Flüchtlingsdrama möglicherweise auch mit einer verfehlten EU-Außenpolitik in Syrien, Libyen oder auf dem Balkan zu tun haben könnte, wurde in Luxemburg erst gar nicht erwähnt.

Einig waren sich die 28 Außenminister nur darin, stärker gegen Schlepper vorzugehen. Im Oktober soll die zweite Phase des umstrittenen Marineeinsatzes vor der Küste Libyens beginnen. Dabei sollen Schiffe von Menschenhändlern auf hoher See aufgebracht und auch zerstört sowie Schleuser festgenommen werden. Deutschland will sich beteiligen, allerdings muss zunächst noch der Bundestag zustimmen.

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6 Kommentare

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  • Meine Güte ! Wie schrecklich ... !!!

    Könnte evtl. durch diese Uneinigkeit in der EU die "Realpolitik" den Kurs wechseln?

    Die Flüchtlinge entfliehen primär den grausamen Wirren von Krieg!

    Wie wäre es, wenn die bisher fahrlässige "Realpolitik" sich widmet, um die Ursachen der Kriege, der regionalen Destabilisierungen, der dummen Sanktionskultur/Kalten Krieg.. zu sehen und zu befrieden? Irgendwie ist es ja so, das die verfehlte "Realpolitik" von USA/EU/NATO sehr `Mitschuldig´ ist an den Kriegswirren im Mittleren Osten und Ukraine..(!)..

    ..und so an der Menge der Flüchtlinge!

    Es ist gut, die von Krieg gemarterten Flüchtlinge willkommen zu heissen !

    Jedoch: Es gilt, die verfehlten Ideologien der heutigen "Realpolitik" zu hinterfragen!

    Wie wär´s die Strategien von "Wandel durch Annäherung" von Willy Brandt und Egon Bahr als Axiom in der EU Politik zu etablieren??

  • Ich glaube es ist korrekt das Deutschland hier freiwillig eine Schuld tilgt, die die Generation der Großeltern mit Holocaust und Krieg zu verantworten hatte. Und das ist wahrscheinlich gut so. In 5 Jahre wird nämlich jeder Deutsche sagen können „ ja, Deutschland hat unglaubliche Schuld auf sich geladen, aber diese ist nun durch eine neue Generation durch eine humanitäre Großtat endgültig getilgt“. Das wird dann auch die rechte Mitte realisieren!!

     

    Deutschlands Enkelgeneration wird den Holocaust endgültig das schwärzeste Kapitel der Menschheit werden lassen. Denn kein Mensch wird nach dieser humanitären Weltsensation Deutschlands heutiger Bevölkerung noch vorwerfen können Deutschland hätte nichts gelernt (von wenigen Ausnahmen abgesehen). Dann wird es auch einen „natürlichen“ Schlussstrich geben können, den sich so viele Bürgerliche immer herbeisehnten. Auch deshalb sollten wir alle der momentanen Situation positiv gegenüberstehen.

  • Leider wieder mal ein Bespiel wie Politik und Macht funktioniert!

    UNd gleichzeitig die Frage wie man Einfluss nehmen kann. Sowohl von Politik Richtung Bevölkerung als auch umgekehrt.

     

    In Deutschland hat Merkel eben gerade "Glück" das die Hilfbereitschaft der Bevölkerung eine großzügigere Aufnahme toleriert.

     

    Diese Glück haben andere Regierungschefs nicht. So ist die Widerwahl bzw. Angst bei "falschen" Entscheidungen nicht wiedergewählt zu werden zu groß und alles wird blockiert.

     

    Das auch unser Staat derzeit letztlich versagt und es ohne private Helferleins die Aufnahme so wie aktuell gar nicht fuktionieren würde sei eine Randbemerkung.

     

    Es bleibt zu hoffen, dass die Bereitschaft weiterer Aufnahmen bestehen bleibt.

    Wenn hier eine andere Stimmungslage aufkommt wird auch hierzulande politisch ganz anders argumentiert und entschieden. Die dann plötzlich zu geltenden Argumente sind alle bekannt.

     

    Wie immer ist die Frage zu stellen: Gestaltet die Politik das Land oder die Bevölkerung die Politik?

  • Mich wundert es nicht. Auch bei Griechenland haben sie bewiesen, dass wir in Europa keine gemeinsamen Werte haben. Das Problem hat Yanis Varoufakis wie folgt beschrieben:

    Posted on September 4, 2015 by yanisv

    Yanis, what’s gone wrong with the way Europe is managing the migrant crisis?

    Well in the same summer Europe managed to jeopardize its integrity twice. Once by threatening Greece being threatened with expulsion from the Eurozone in order to impose upon it an austerity package that won’t work. Then, Europe managed to lose its soul, by treating aboninably extremely needy people, coming to our shores under hideous conditions, seeking refuge. We, Europeans, instead of taking them in, began to bicker on who – and it what way – would share the burden of looking after them. It was a disgraceful display.

     

    Am 20. September wählen die Griechen wieder und 2016 / 2017 Deutschland. Darauf bin ich gespannt.https://www.dropbox.com/s/foazilivqzsvqds/Screenshot%202015-09-04%2013.13.20.png?dl=0

  • Vielleicht hilft es, wenn nunmehr EU-Gelder der Geberländer in die Flüchtlingshilfe der Aufnehmerstaaten fließen und entsprechend weniger Subventionen an die Flüchtlings-Verweigerer. So jedenfalls, kann es nicht stehenbleiben. Wenn es um Geld geht, kommt bekanntlich häufig Bewegung in Festgefahrenes...

  • da hat man sich ja mit der eu-osterweiterung einige ganz hervorragende beispiele in sachen humanismus und demokratieverständnis ins haus geholt.

    na wer sich von england auf der nase herumtanzen lässt, der erträgt auch dies.