: Putins flaue Anti-EU
Armenien Das Land trat vor wenigen Monaten dem neuen Wirtschaftsbündnis des russischen Präsidenten bei. Die Bilanz sieht bisher schlecht aus
Bagrat Asatryan, Wirtschaftsexperte
Aus Jerewan und Berlin Tigran Petrosyan
Jubel in Armenien: In diesen Tagen verbreitet die Regierung der Südkaukasusrepublik Erfolgsmeldungen, dass es der Wirtschaft besser gehe. Die Exporte seien gestiegen, weil das Land vor acht Monaten der Eurasischen Wirtschaftsunion, kurz EAWU, beigetreten sei.
Das Bündnis aus Russland, Armenien, Weißrussland, Kasachstan und Kirgistan ist das Gegenprojekt des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur EU, gegründet im Januar 2015. Erklärtes Ziel ist, die Wirtschaft der Mitgliedstaaten zu stärken – entsprechende Daten veröffentlicht das armenische Landwirtschaftsministerium: So wurden in den ersten siebeneinhalb Monaten dieses Jahres 50.315 Tonnen Obst und Gemüse exportiert, mehr als im ganzen Jahr 2014. Vor dem EAWU-Beitritt Armeniens gingen nur 30 Prozent der Obst- und Gemüsexporte in die Russische Föderation, nach dem Beitritt stieg die Zahl auf 80 Prozent an. Diese Entwicklung verkauft das Ministerium als direkten Erfolg nach dem EAWU-Beitritt, obwohl es schon davor ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Länder gab.
Bagrat Asatryan, Wirtschaftsexperte und ehemaliger Chef der Zentralbank Armeniens, nennt einen anderen Grund für die vermeintliche Erholung. „Armeniens Landwirtschaft profitiert von den EU-Sanktionen gegen Russland aber nur kurzfristig und abhängig von der Jahreszeit“, sagt er. Das bedeute aber nicht, dass die armenische Wirtschaft wachse, im Gegenteil. Wegen der EU-Sanktionen gegen Russland, der dortigen Finanzkrise und der drastischen Abwertung des russischen Rubels breche auch in Armenien die Wirtschaft ein. Trotz der gestiegenen Exportzahlen für Landwirtschaftsprodukte ist der Außenhandel Armeniens insgesamt zurückgegangen.
Eben die Abwertung des russischen Rubels macht dem Land zu schaffen: Bis zu drei Millionen Armenier leben in Russland. 2014 überwiesen armenische Migranten insgesamt etwa 1,8 Milliarden Euro in ihre Heimat, 85 Prozent dieser Summe kam aus Russland. In diesem Jahr gingen diese Überweisungen um die Hälfte zurück. Für die Wirtschaft Armeniens eine Katastrophe, sie hängt zu 20 Prozent von derartigen Zahlungen ab. Sinkt der Rubel, werden die Überweisungen weniger wert.
Armenien ist auch auf dem Energiesektor von Moskau abhängig, die Branche gehört komplett zu Russland. Im August dieses Jahres wurden aufgrund der Forderung des russischen Stromlieferanten InterRAO die Strompreise um 16 Prozent erhöht. Nach wochenlangen Protesten der Bevölkerung hat die Regierung in Jerewan angekündigt, zunächst die Mehrkosten zu übernehmen. „Moskau hat gegenüber Armenien immer auf eine koloniale Politik gesetzt. Russland nimmt alles, was es kann, vor allem die wertvollste Ressource, die menschliche Arbeitskraft“, sagt Asatryan.
Die wirtschaftliche Entwicklung Armeniens wird aber auch durch andere Faktoren gehemmt. Die Grenze zu den Nachbarländern Türkei und Aserbaidschan sind aufgrund des Konflikts um die Region Berg-Karabach sowie der türkischen Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Jahr 1915 geschlossen. Georgien ist die einzige Verbindung zur Außenwelt, der Weg bis nach Russland voller Hindernisse. Wegen der angespannten Beziehungen zwischen Tiflis und Moskau stehen armenische Lastwagen mit frischen Obst und Gemüse oft stundenlang im Stau an der georgisch-russischen Grenze.
Lockerung könnte die Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen den Iran bringen. Der iranische Vizepräsident Eshagh Dschahangiri lotet persönlich aus, ob eine engere Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Armenien möglich ist. Unter anderem ist der Bau einer Iran-Armenien-Eisenbahn im Gespräch. Die Kosten werden auf etwa 2,9 Milliarden Euro geschätzt. Allerdings gehört die armenische Eisenbahn ebenfalls Russland. „Man muss sich keine falschen Hoffnungen machen. Das Projekt ist nur dann realistisch, wenn Russland daran interessiert ist“, sagt Asatryan. Danach sehe es aber nicht aus, ergänzt er. Aus der Eisenbahn werde wohl nichts.
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