: Da klatscht Bärgida
NEONAZIS Die rechte Szene steckte lange in Schwierigkeiten, die Aktivitäten der Nazis kamen praktisch zum Erliegen. Doch das ändert sich: Eine ganze Reihe neuer Gruppen versucht, in der Hauptstadt Fuß zu fassen – und kann dabei bereits Erfolge verbuchen. Gleichzeitig steigt die Zahl rechtsextremer Gewalttaten deutlich an
Von Malene GürgenFotos Christian Mang
Jetzt kommt Mario. Er spricht auf fast jeder Bärgida-Kundgebung, seit diese Veranstaltung Anfang Januar das erste Mal stattgefunden hat. Mario erzählt auch heute wieder von seinen Lieblingsthemen: Wie die „rote SA“ – damit meint er alles, was links von ihm steht –, die freie Meinungsäußerung einschränkt. Wie die „Moslem-Asylanten“ das Land übernehmen wollen, wie unzählige YouTube-Videos beweisen würden, dass „der Islam Terror ist“. Wie aber irgendwann zum Glück alle „Opfer ihrer eigenen sozialistischen Ideologie“ sein werden, „die Antifanten wie die Asylanten“, und dass sie dann froh sein könnten, wenn ihnen der Genickschuss erspart bliebe.
Da klatschen die Bärgida-TeilnehmerInnen – das hat er schön gesagt, der Mario. Zum 35. Mal veranstaltet Bärgida am 31. August den sogenannten Abendspaziergang, wie die Kundgebung, meist mit anschließender Demonstration, von den Organisatoren genannt wird.
Hier kommt alles zusammen: die gröhlenden Hooligans, wie jeden Montag auch diesmal wieder bereits zum Kundgebungsauftakt ordentlich betrunken. Die Identitären, die sich gern als hip inszenieren und von denen ein oder zwei tatsächlich auch in einer Neuköllner In-Kneipe nicht auffallen würden. Die ältere Dame, die davon erzählt, wie sie schon mehrfach wegen geistiger Umnachtung eingewiesen werden sollte – völlig zu Unrecht, versteht sich. Das Lichtenberger AfD-Mitglied, das hier Montag für Montag mit Koranzitaten zu belegen versucht, dass Muslime nicht nach Deutschland gehören. Eine Israelfahne – sind die Juden nicht auch irgendwie Feinde der Muslime? –, weht neben der Flagge der extrem antisemitischen Gruppe Europäische Aktion.
„Die extreme Rechte ist voller Widersprüche“, sagt Frank Metzger vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz). „Das war schon immer so, aber so deutlich und über so einen langen Zeitraum wie bei Bärgida lässt sich das selten beobachten.“ Das apabiz dokumentiert die Bärgida-Demonstrationen im Rahmen einer Senatsförderung.
Ulf Bünermann von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) sieht es ähnlich: „Ein Phänomen wie Bärgida, also eine so lang anhaltende und kontinuierliche Mobilisierung, bei der alle üblichen Streitigkeiten zumindest nach außen hin keine Rolle spielen, hatten wir noch nie.“
Seit acht Monaten findet Bärgida jeden Montag statt – die Beteiligung ist zwar leicht schwankend, meist liegt die Teilnehmerzahl aber im dreistelligen Bereich. Der Washingtonplatz am Hauptbahnhof hat sich als Auftaktort etabliert. Früher zogen die Rechten von hier nur eine kleine Runde zum Brandenburger Tor und zurück, seit einigen Wochen laufen sie lieber in den benachbarten Moabiter Kiez oder fahren mit der Bahn gleich in einen anderen Bezirk, um dort zu demonstrieren.
„Eine Besonderheit bei Bärgida ist, dass hier etablierte Akteure wie die NPD kaum eine Rolle spielen“, sagt Bünermann. Stattdessen ist die allwöchentliche Veranstaltung eine Plattform für eine ganze Reihe neuerer Gruppierungen, deren Inhalte und Rhetorik zwar klar in die extreme Rechte eingeordnet werden können, deren Namen aber noch verhältnismäßig unverbraucht sind und die sich nach außen gern gemäßigt geben.
Selbstbewusste Posen
Die Identitäre Bewegung etwa, eine ursprünglich aus Frankreich stammende, islamfeindliche Gruppe, hat vor den Bärgida-Protesten in Berlin kaum eine Rolle gespielt. Nun sind sie jeden Montag Teil der Demonstration, posieren selbstbewusst mit ihren Fahnen vor dem Hauptbahnhof und versuchen ansonsten, mit Aktionen wie der Besetzung des Balkons der SPD-Zentrale Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Auch die jungen Männer und Frauen, die als Berliner Gruppe des Bündnis’ deutscher Hools auftreten, sind vor Beginn der Bärgida-Demos nicht politisch aufgefallen: „Wir kannten niemanden von denen vorher als Teilnehmer rechtsextremer Veranstaltungen“, sagt Frank Metzger. Bei Bärgida sind sie akzeptiert. Obwohl die Gruppenmitglieder oft sturzbetrunken auftreten, werden sie zum Teil sogar in die Organisationsstruktur vor Ort eingebunden.
Die Identitären und die Hools, die German Defence League und die Europäische Aktion, Pro Deutschland und die einzelnen unorganisierten Bärgida-TeilnehmerInnen, sie alle haben eins gemeinsam: Allein ist ihr Bekanntheitsgrad und damit auch ihr Mobilisierungspotenzial gering. Veranstalten sie eigenständige Kundgebungen, kommt die Teilnehmerzahl höchstwahrscheinlich nicht über den einstelligen Bereich hinaus. Auch deswegen sind die Bärgida-Demonstrationen für diese Splittergruppen so attraktiv: „Hier können sie die Erfahrung einer erfolgreich durchgeführten, öffentlich wahrnehmbaren politischen Aktion machen – das stärkt das eigene Selbstbewusstsein ungemein“, urteilt Ulf Bünermann.
Das gibt zu denken. Die Neonazi-Szene in Berlin galt lange als praktisch tot: Die Kameradschaftsszene, das Spektrum der aktions- und gewaltorientierten Neonazis, ist nicht zuletzt durch repressive polizeiliche Maßnahmen deutlich geschwächt. Die NPD hat mit dem ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt, der 2014 ins Europaparlament einzog, auf Berliner Ebene einen wichtigen Funktionär verloren. Nach verschiedenen Bewährungsstrafen gegen den Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke hält sich dieser ebenfalls merklich zurück, zudem hat die Partei massive Geldprobleme.
Selbstbekräftigungsritual
Außerdem wichtig: Große Aufmärsche, lange eine der zentralen Aktionsformen in der Szene, sind in Berlin praktisch nicht mehr möglich – zu sehr hat sich die massenhafte Blockade von Nazi-Demonstrationen mittlerweile als politisches Mittel durchgesetzt. Die Neonazis fuhren hier zuletzt ein Frustrationserlebnis nach dem anderen ein.
Von dieser Frustration ist bei Bärgida wenig zu spüren. Sicher: Der Schulterschluss mit unorganisierten, für rassistische Argumentationen empfänglichen BürgerInnen gelingt in Berlin nicht, anders als etwa bei Pegida in Dresden. Auch fühlt sich das militante Neonazi-Spektrum von den vergleichsweise harmlos ablaufenden Demonstrationen bisher nicht angesprochen.
Doch die Rechten haben mit den kontinuierlichen Aufmärschen eine Aktionsform gefunden, die sowohl zu einem Selbstbekräftigungsritual geworden ist, als auch die Zivilgesellschaft und linke Szene offenbar überfordert: Monatelang fand sich bei den Kundgebungen gerade mal eine Handvoll GegendemonstrantInnen ein, fast sofort nach der ersten Bärgida-Demonstration – der einzigen, die erfolgreich blockiert wurde –, verschwand diese Mobilisierung praktisch aus der öffentlichen Wahrnehmung.
Bärgida ist dabei nicht der einzige Erfolg, den die rechte Szene in den letzten Monaten erringen konnte: In Marzahn brachten Nazi-Demonstrationen gegen die neue Flüchtlingsunterkunft im letzten Herbst bis zu 1.000 Menschen auf die Straße. Noch wichtiger aber: „In diesem Bezirk gibt es gefestigte Neonazi-Strukturen. Die Nazis fühlen sich hier zu Hause, ihre Hemmschwelle sinkt immer weiter“, sagt Luisa Seydel von der Initiative Hellersdorf hilft.
Was das bedeutet, weiß sie aus erster Hand: Am Morgen des 6. Juli fanden Mitglieder der Initiative fünf scharfe Patronen, säuberlich aufgereiht vor dem Fenster ihrer Räumlichkeiten. Am Abend zuvor hatte René Uttke, Drahtzieher in der rechten Szene im Bezirk, Mitglieder der Initiative auf einer Demonstration bedroht: Mit den Händen formte er eine Pistole und richtete sie auf die Engagierten.
„Schon seit einiger Zeit lässt sich beobachten, dass die rechte Szene in Berlin wieder gewalttätiger und gefährlicher wird“, sagt Clara Herrmann, Grünen-Abgeordnete und Sprecherin ihrer Fraktion gegen Rechtsextremismus. Davon zeugen auch Zahlen der Polizei, die einen deutlichen Anstieg rechter Gewalttaten belegen.
Warnung vor neuer Gruppe
Während die Identitären oder die German Defence League nach bisherigen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden keine Verbindungen ins militante Spektrum haben, versucht eine neue Gruppe in Berlin Fuß zu fassen, bei der das ganz anders aussieht: Die Neonazi-Partei Der III. Weg. Gegründet wurde diese Partei schon 2013 in Bayern, wo sie als Auffangbecken diente für die Mitglieder der kurz zuvor verbotenen Organisation Freies Netz Süd.
In Brandenburg ist die Gruppe, deren martialisches Auftreten vor NS-Bezügen nur so strotzt, bereits seit einigen Monaten aktiv. Öffentlichkeit erreichten sie zuletzt durch eine Kundgebung in Zossen, wo im Januar eine neue Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge eröffnet werden soll.
Geführt wird die Gruppe in Brandenburg von Maik Eminger, einem bekannten Neonazi, dessen Zwillingsbruder André im NSU-Prozess als Unterstützer des Terrortrios auf der Anklagebank sitzt.
In Berlin ist die Gruppe bisher wenig aktiv, doch das könnte sich ändern: Ende März wurde ein „Stützpunkt Berlin“ gegründet, im April verteilten Mitglieder der Gruppe flüchtlingsfeindliche Flugblätter in Marzahn-Hellersdorf und Pankow – „Aufklärungskampagne zum Thema Masern-Welle und Asyl in der Reichshauptstadt“ nannten die Nazis diese Aktion.
Aus der in dieser Woche veröffentlichten Antwort der Senatsverwaltung für Inneres auf eine Anfrage Clara Herrmanns geht hervor, dass die Partei gute Verbindungen zur NPD aufweist: Es gebe mehrere Personen, die sowohl „in die Strukturen der Berliner NPD eingebunden sind“ als auch dem Bundesvorstand von Der III. Weg angehören, heißt es dort. Im August hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz explizit vor dieser Partei gewarnt.
„Für Berlin stehen im Moment mehrere Herausforderungen an“, sagt Bünermann von der MBR. Zum einen müsse sich zeigen, ob das aktionsorientierte, gewaltbereite Neonazi-Spektrum aus den „Nein-zum-Heim“-Aufmärschen in Berlin langfristig gestärkt hervorgeht und sich neue Organisationsformen gibt. Dabei könnten auch die rassistischen Mobilisierungen und Anschläge im gesamten Bundesgebiet als Verstärker wirken.
Zum anderen steht im nächsten Jahr die Abgeordnetenhauswahl an – dass die NPD hier mit ihrem Kernthema Rassismus punkten kann, erscheint angesichts der aktuellen Virulenz der Flüchtlingsthematik nicht unwahrscheinlich. Auch die Berliner AfD könnte sich hier weiter rechts aufstellen als bisher.
Und dann gibt es da noch die „Abendspaziergänge“ von Bärgida, deren TeilnehmerInnen in den letzten Wochen zunehmend aggressiver auftreten – viel zu tun für die rote SA.
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