: Zerfurcht, zerfahren
Bildband-Unternehmen Der US-amerikanische Fotograf Fazal Sheikh erkundet die Wüste Negev und ihre Bewohner, die Beduinen. Der israelische Architekt Eyal Weizman sekundiert ihm in einem Studienband
von Lennart Laberenz
Ein erster Band, „Desert Bloom“, ganz in Beige-, Rot- und Brauntönen: Wüstenboden, fotografiert aus größerer Höhe, zerfurcht, zerfahren, mit rätselhaften Mustern durchsetzt. Pisten winden sich durch den Sand, schweres Gerät hat den Boden gewalzt und zusammengekehrt: Militär und Landwirtschaft strukturieren die Wüste, dazwischen staubige Wasserläufe, Ruinen. Selten erfassen die Aufnahmen winzige Ansiedlungen, das Metalldach eines kargen Gehöfts, die anarchische Ordnung eines Friedhofs.
Die Wüste wird von großen Gesten geordnet, gewaltige Felder industrieller Landwirtschaft sind in den Staub geschnitten, werden künstlich bewässert. Rippenförmige Terrassierungen legen sich über weite Flächen – ein Wald soll hier wachsen. Immer wieder Bunker, simulierte Befestigungen von feindlichen Mächten, Militärposten.
Gelegentlich durchschneidet das saubere Asphaltband einer neuen Überlandstraße das Bild. Der US-amerikanische Fotograf Fazal Sheikh hat die Aufnahmen im Oktober und November gemacht, vor der Regenzeit, am frühen Morgen: Der Boden ist ausgedörrt, liegt bar jeder Vegetation im klaren Sonnenlicht. Ein erster, schwacher Regen hat die Luft vom Staub gereinigt.
Die Bilder haben nichts von der Coffetable-Langeweile eines Yann Arthus-Bertrand: „Desert Bloom“ ist eine politische Bilderserie, eine Spurensuche. Die Negev-Wüste ist ein Ort der kolonialen Auseinandersetzung. Hier geht es um ein Doppelspiel der „territorialen Expansion“, wie der Architekt und Autor Eyal Weizman feststellt.
Verdrängung der Beduinen
Neben physischer und kultureller Verdrängung spielt auch das von Menschen veränderte Klima eine Rolle. Weizman interpretiert und kommentiert die Arbeit von Fazal Sheikh in einem Zusatzband, „The Conflict Shoreline“, wobei er die Verdrängung der Beduinen aus der Negev durch Klimalabore, Militärstrategie, Kartografenstuben und bis in die Gerichtsprotokolle hinein verfolgt.
Weizman kam schon in seiner Monografie „Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung“ (Nautilus, 2008) zu einem klaren Urteil: „Trotz der komplexen rechtlichen, territorialen und gebauten Realität der Besatzung und ihrer Aufrechterhaltung ist der Konflikt um Palästina doch ein recht geradliniger Prozess der Kolonialisierung, der Enteignung, des Widerstandes dagegen und der Unterdrückung.“
Mit Fazal Sheikhs neuer Arbeit, dem Blick auf die Negev-Wüste, die israelisches Staatsgebiet ist, wendet sich die Perspektive nun nach Innen und geht über die Organisation von Architektur und den gebauten Diskurs der Landnahme hinaus: Für die Vertreibung der Beduinen braucht es eine Mischung aus formaler Entrechtung, militärischer Macht und Climate-Engineering. Dabei sind die Beduinen auch in der palästinensischen Gesellschaft das schwächste Glied, werden ausgegrenzt und vertrieben, übergangen und belächelt.
Gleichwohl sind die Beduinen für Fazal Sheikh nur eine Strophe im Lied, er schaut sich den Prozess der Kolonialisierung in drei Bänden an: Aus der Luft fotografiert er Regionen, in denen Militär, Landwirtschaft und der für Aufforstung zuständige Jewish National Fund Beduinensiedlungen beseitigen und verschwinden ließen. In einem zweiten Band, „Memory Trace“, sucht er (nun vom Boden aus) Überbleibsel von palästinensischen Siedlungen, die nach der Gründung des Staates Israel 1948 zerstört, deren Bewohner vertrieben wurden.
Sheikh geht von 450 Siedlungen und 700.000 Vertriebenen aus. Viele Siedlungen wurden geschliffen. Die Ortsnamen tauchen auf keiner Karte mehr auf. Sheikhs Aufnahmen suchen nach Resten der Siedlungen, in der Form eines lexikalischen Eintrags notiert er Namen und Geschichte der Orte. In den Flüchtlingslagern des Westjordanlandes hört er die Erinnerungen der Vertriebenen. Ein letzter Band geht ins Symbolische über, „Independence | Nakba“ sammelt Porträts von Palästinensern und Israelis, die seit der Nakba („Katastrophe“, oder auch „Schande“) geboren sind – für jedes Jahr ein Pärchen, ihre Unterschiede sind oft marginal.
Man kann die Arbeit von Fazal Sheikh als eine Anstrengung verstehen, Quellen und Spuren der Opfer all des Unterpflügens, Verdrängens und Überschreibens zu sichern, Erinnerung zu bewahren. Die Bände erscheinen unter dem Titel „The Erasure Trilogy – Trilogie der Auslöschung“. Aus der Mühe entsteht ein Doppelbild: Reste und Ruinen palästinensischer Siedlungen und Beduinenkultur, Erzählungen und Anklagen ragen wie Splitter aus der Geschichte einer gewaltsamen Praxis des Staates heraus, dem zuletzt die Soziologin Eva Illouz erhebliche Schwierigkeiten nachwies, Verhaltensweisen einer säkularen Instanz zu akzeptieren.
Tatsächlich hat sich in diesem Sommer wieder gezeigt, dass die Strategie der Ausgrenzung und Trennung auch nach Innen, in die israelische Gesellschaft, zurückwirkt. Nach dem Brandanschlag auf das Haus einer palästinensischen Familie durch radikale Siedler und den Messerangriff eines orthodoxen Fanatikers auf die Gay Parade notierte der Schriftsteller David Grossmann entsetzt in der FAZ, dass, wer nach Schuld fragt, dafür bei der herrschenden Politik und der gegenwärtigen Regierung nachschauen müsse: „In unbeirrter Verneinung der Wirklichkeit verschließen der Ministerpräsident und seine Anhänger die Augen vor der irrigen Auffassung, die sich im Bewusstsein der Besetzer im Verlauf von fast fünfzig Jahren unaufhaltsam eingenistet hat: dass es zwei Arten von Menschen gibt. Die eine Art ist der anderen unterworfen und scheint deswegen von Natur aus weniger wert zu sein.“
Fazal Sheikh: „The Erasure Trilogy“. Steidl Verlag, Göttingen 2015. Drei Bände und ein Textband im Schuber, zusammen 440 S., 265 Fotografien, 98 Euro
Eyal Weizman, Fazal Sheikh: „The Conflict Shoreline. Colonization as Climate Change in the Negev Desert“. Steidl Verlag, Göttingen 2015, 96 S., 106 Fotografien, 30 Euro
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