: Nur nicht tütteln
KINDER Auch wenn Hamburg-Wilhelmsburg als sozialer Brennpunkt gilt: Das Weihnachtsbasteln in der Kita „Inselkinder“ verläuft überaus geschmeidig. Wohl auch, weil Weihnachten dort nicht so ernst genommen wird
VON ROGER REPPLINGER
„Nicht tütteln“, sagt Hilda. Man hat das Gefühl, es sind viel mehr Kinder. Das ist der Lärm. Sascha haut auf den Ton wie ein Schlachter aufs Steak. David hat ihnen erklärt, dass der Unterschied zwischen Ton und Teig ist, dass man den Ton nicht essen kann. Das versucht dann auch keiner.
„Warum hast Du einen Schirm?“, fragt Hilda und die Fotografin Ulrike Schmidt versucht zu erklären, warum man den fürs Knipsen manchmal braucht. Die Frage ist gut, denn in der Kita „Inselkinder“ am Rotenhäuser Damm in Wilhelmsburg kann beim Weihnachts-Basteltag eine Menge passieren. Nur reinregnen kann’s nicht.
„Zeig mal“, fordert Hilda, und will sehen, was Ulrike Schmidt fotografiert hat. Das findet sie spannender als lange, flauschige Pfeifenreiniger in Tannenzapfen zu stecken und Augen auf die Zapfen zu kleben, oder aus Ton, den man nicht essen darf, Schmetterlinge oder Weihnachtsbäume auszustechen.
Hilda steckt viele Pfeifenreiniger in den Tannenzapfen, bastelt also einen Tintenfisch, und sagt dann zu Ole: „Ich bin fertig, ich hab’ gebastelt.“
Sascha, am Tontisch, krempelt die Ärmel hoch und erklärt den anderen, wie es geht: „Nicht so dick.“ Das bezieht sich auf den Ton, der, je dünner er ist, desto eher nach der Form aussieht, mit der er ausgestochen wird. Sascha ist seit vier Jahren hier. Er kam mit 18 Monaten. Sehr viel jünger sollten die Kinder nicht sein. David sticht in die Sterne, Weihnachtsmänner und Sternschnuppen kleine Löcher, damit sie später aufgehängt werden können.
Hilda sitzt auf dem linken Knie von David Aslan, 19, der hier eine Ausbildung zum sozialpädagogischen Assistenten macht – früher hieß das Kindergärtner – sie ist sehr konzentriert. Da kommt Naomi und möchte auf Davids rechtes Knie. Hilda: „Finger weg.“
Manchmal umarmen Hilda und Naomi Erwachsene, die ihnen sympathisch sind. Einfach so. Manchmal kuscheln sie auch mit ihnen.
„Sascha hat schon wieder getüttelt“, petzt Christian. „Na so was“, sagt Ole.
Da Mi räumt auf. Sie hat ein blassrosa Schleifchen im Haar. Als sie aufgeräumt hat, setzt sie sich in ein ruhiges Eckchen der Kita und hört sich mit dem Stethoskop ab. Sie nickt. Alles gut. Sascha ist inzwischen vom Ton zu den Tannenzapfen gewechselt und auch er entscheidet sich für einen Tintenfisch. Liegt nah. Nur die Augen sind schwer. „Schaffst du?“, fragt Ole Walther, der jeden Dienstag Sprachförderung mit den Kindern macht, ohne dass die das merken. „Ich schaffe“, sagt Sascha. „Es gibt Kinder, die brauchen eine Sprachförderung“, sagt Maria Komaiszko-Kröger, die leitende Erzieherin, „weil die Eltern kaum oder kein Deutsch sprechen“.
Naomi bastelt eine Maus, aber es fehlt was. „Maus braucht Ohren“, sagt Naomi. „Nicht tütteln“, sagt Ole zu Alen. Ole hat das mit dem Tütteln aufgebracht. Es heißt trödeln, Unsinn machen, andere ärgern. Man weiß es nicht so genau. Das ist das Gute daran.
Der Verein „Inselkinder“ wurde 1994 gegründet. Wer über Wilhelmsburg schimpft, soll sich das mal angucken. Platz gibt es keinen mehr. Wenn alle 21 Kinder aus 16 Nationen da sind, was nie vorkommt, ist es rappelvoll. Im Sommer kommen acht Kinder in die Schule, dann sind Plätze frei. Einmal pro Woche machen die „Inselkinder“ einen Ausflug: Tierpark, Spielplatz, Schwimmbad. Die Turnhalle im „Haus der Jugend“ wird mit benutzt, der Innenhof auch. Immer Mittwochs ist Musikunterricht. Heute ist Weihnachtsbasteln, das ist sehr entspannt, weil von allen Kindern nur vier katholisch sind und sich auch der Rest von Weihnachten nicht verrückt machen lässt.
Alen hat aus den Tannenzapfen Fische gebastelt. Naomi nach der Maus noch einen Babyelefanten mit rosaroten Ohren gebaut und singt mit Hilda „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen…“. Es riecht nach Mittagessen. Für die Kinder wird im „Haus der Jugend“ gekocht. Kein Schwein, kein Rind, und für Allergiker gibt’s extra.
Alen hat eine Plastikbrille auf und aus großen Legosteinen eine Gitarre gebaut. Da spielt er drauf und singt.
„Am Montag“, sagt Ole, der einzige Hamburger im Raum, „machen wir die Mützchen für die Tannenzapfen, an denen sie dann an den Baum gehängt werden können“. Es gibt den Deutsch-Inder Sanju und die Deutsch-Portugiesin Mary-Jane. „Was macht ihr da?“, fragt Ole. „Gar nichts“, sagen Hilda und Naomi im Chor und singen dann „nananananahh“. Christian, Ilknur und Agro puzzeln.
„Nicht tütteln“, sagt Ole zu Naomi. „Nicht tütteln“, sagt Naomi zu Hilda. Es gibt Kinder, die bleiben vier, manche fünf Stunden, wieder andere bis 16 Uhr. Nach dem Alter des Kindes und dem Einkommen der Eltern richtet sich, was die für den Kita-Platz bezahlen müssen. Aria, vier, brütet über dem kleinen Puzzle, Yelda, drei, mit den schwarzen Haaren und der blauen Haarspange, über dem großen.
Wenn die Kinder trinken, haben sie einen Milchbart. Jetzt ist das Weihnachtsbasteln zu Ende und man kann wieder andere Sachen machen. „Wie macht die Katze?“, fragt Ole. „Miau!“, sagt die kleine Ilknur. Wie macht die Kuh? „Muh!“ Und wie macht das Schaf? Hm. Puh, wie macht jetzt gleich noch mal das Schaf? Ilknur überlegt. „Schahaf.“
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