: „Focke ist spannend“
FLIEGEN Der Historiker Lutz Budraß referiert zur Geschichte des Flugzeugbaus in Deutschland
Jahrgang 1961, promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum.
taz: Herr Budraß, angesichts der Senkrechtstarter des Franzosen Louis Breguet Anfang der 1930er – kann man von Henrich Focke als Erfinder des Hubschraubers sprechen?
Lutz Budraß: Das weiß ich nicht. Focke ist aber spannend, weil er versucht hat, aus einer technisch sehr festgefahrenen Situation herauszukommen. Zu seiner Zeit wurde mit großen Patentrechten aufgefahren, um weitere Entwicklungen einzugrenzen. Focke wollte jedoch immer Pionier sein. Das ist das Besondere an ihm und vermutlich auch der Grund für sein Beiseitestehen in der NS-Zeit. Im konventionellen Flugzeugbau hatte er keine Chance mehr gesehen.
Welche Rolle spielte der im Nationalsozialismus?
Die Luftfahrt war eine dominierende Industrie, wird jedoch nicht als solche wahrgenommen.
Inwiefern?
Beim frühen Nationalsozialismus denken viele zuerst an Krupp oder die I.G. Farben, aber nicht an die Ernst Heinkel AG. Dabei war Heinkel als Teil der Flugzeugindustrie wahrscheinlich der am stärksten belastete deutsche Unternehmer. Mitte 1943 hatte er rund 55.000 Beschäftigte. Wie viele andere Industrielle wollte Heinkel nach 1945 weiterarbeiten und hat deshalb gezielt Geschichtspolitik betrieben, um seine Rolle im Nationalsozialismus herunterzuspielen. Die Bedeutung der Flugzeugindustrie wurde also systematisch klein gemacht. Es gibt allerdings starke Unterschiede: Henrich Focke hatte sich zu Beginn des Nationalsozialismus aus dem Zentrum der Rüstung entfernt – und das ganz bewusst. Er wurde zwar NSDAP-Mitglied, ist aber bei Weitem nicht am Ausmaß der Verbrechen beteiligt gewesen wie Heinkel.
Wie sehr gehen Sie in Ihrem Vortrag auf technische Details ein?
Vermutlich nicht so ausführlich wie sich das Technikbegeisterte wünschen. Mein Bestreben ist es immer, die Geschichte des Flugzeugbaus zu erzählen, ohne dabei über Flugzeuge zu reden.
interview: Laurin Meyer
„Henrich Focke und Ernst Heinkel – oder: wie kann die Geschichte des Flugzeugbaus in Deutschland erzählt werden?“: 19 Uhr, Fockemuseum
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