piwik no script img

Zu wenig SportunterrichtNiedersachsen Tabellenletzter

In Niedersachsen haben Kinder bis zur zehnten Klasse nur zwei Wochenstunden Schulsport. Die werden oft von fachfremden Lehrern geleitet.

Auch so ein Klassiker aus dem Programm unqualifizierter Sportlehrer: Tauziehen. Foto: dpa

Nirgends in Deutschland haben Schüler von der ersten bis zur zehnten Klasse so wenig Sportunterricht wie in Niedersachsen. Das zeigt der neue Kinder- und Jugendsportbericht des Sportwissenschaftlers Werner Schmidt von der Universität Duisburg-Essen. Das Land belegt im Vergleich der allgemeinbildenden Schulen den letzten Platz. „Abstieg“ heißt das normalerweise im Sport.

„Kinder bewegen sich gerne“, sagt Schmidt. „Nur die Rahmenbedingungen sind schlechter geworden.“ Ihm ist es wichtig, nicht missverstanden zu werden: Seine Studie zeige in keiner Weise, dass Niedersachsens Kinder Bewegungsmuffel sind.

Der Jugendsportbericht ist vor allem für die niedersächsische Schulpolitik ernüchternd. Schmidt findet, dass das Land die Bedeutung des Schulsports unterschätzt. Er sei nicht nur für die Gesundheit wichtig, sondern vor allem für Kinder aus armen Familien. Auch in einer zweiten Statistik hinkt das Land hinterher: Nach Schmidts Studie kooperieren nicht mal 20 Prozent der Sportvereine in Niedersachsen mit Ganztagsschulen. Bundesweit sind es 50 Prozent.

Für den Sport-Minimalismus hat sich das Land bewusst entschieden. „Nur Niedersachsen und das Saarland haben den Schulsport in Klasse eins bis zehn auf zwei Wochenstunden gekürzt“, sagt Schmidt.

Sebastian Schumacher, Sprecher des niedersächsischen Kultusministeriums, hält dagegen: Die Grundschulen würden die Kinder neben den zwei Sportstunden im normalen Unterricht zur Bewegung animieren. Das Kultusministerium hat dafür extra ein Heft mit Spielideen für den Klassenraum herausgebracht. Stuhlkreisrücken zum Beispiel. Nach der Grundschule würde die dritte Sportstunde „im Rahmen der AGs bereitgestellt“, sagt Schumacher. Das Kultusministerium glaubt an diese Methoden, Änderungen sind nicht geplant.

Der verpflichtende Sportunterricht in Grundschulen wird oft von fachfremden Lehrern geleitet. Das ist auch in Hamburg und Schleswig-Holstein so. In den alten Bundesländern werden mindestens 50 Prozent der Sportstunden von unqualifizierten Lehrern unterrichtet. Nordrhein-Westfalen ist mit 80 Prozent trauriger Rekordhalter. Wenn der Musiklehrer Sport unterrichte, gebe es bei den Kindern kaum Lerneffekte und „es wird schlechter Unterricht gemacht“, sagt Schmidt. „Für fachfremde Lehrer ist es schwerer, sich im Sportunterricht durchzusetzen, als im Klassenraum. Deswegen bieten sie oft nur Übungen an, bei denen sie sich sicher sind.“ Sie ließen dann gerne einfach eine ganze Klasse Fußball spielen. Das freue zwar Fußballbegeisterte, andere stehen aber den größten Teil der Stunde herum.

Das Kultusministerium kennt diese Problematik. Es will dem mit Fortbildungskursen für Grundschullehrer entgegenwirken. Allerdings gibt es diese Kurse schon seit 1998, die Zahlen sind trotzdem schlecht.

In Sportvereinen sind Kinder aus gut situierten Familien überproportional vertreten. „Kinder aus sozial benachteiligten Familien gehen im Rahmen der Ganztagsschulen verstärkt in die Sport-AGs am Nachmittag. Sie schaffen es aber nicht in die Sportvereine. Deswegen müssen Ganztags- und Schulsportangebot ausgeweitet werden“, fordert Schmidt.

Viele Mitarbeiter in Ganztagsschulen sind Ehrenamtliche und im Sportbereich nicht ausgebildet. Weil auch nur wenige Sportvereine mit den Ganztagsschulen kooperieren, bleibt als Resultat, dass die Kinder sich entweder nur aus Eigeninitiative oder gar nicht bewegen.

Eine weitere Idee für mehr Bewegung ist, die zwei großen Pausen in den Grundschulen von 15 auf 30 Minuten zu verlängern und Spielgeräte bereitzustellen. „Gute Schulen machen das“, sagt Schmidt. Für ihn bietet der Staat insgesamt zu wenig Anreize zur Bewegung. „Schon die Kindertagesstätten sind nicht dazu verpflichtet, Bewegung zu fördern“, sagt er.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!