Kolumne Wirtschaftsweisen: Das koloniale Erbe als Jobmaschine
Was heißt schon geschenkt? Die Knochen und anderen Objekte aus den ethnologischen Sammlungen müssen genau untersucht werden.
Das Humboldt-Schloss wird jede Menge Arbeit für Akademiker und Journalisten schaffen – keine Domestikenjobs diesmal. Alles, was dort hinein kommt, jedes der 500.000 ethnologischen Objekte und etwa 1.000 Schädel beziehungsweise Knochen von Ostafrikanern, muss recherchiert werden: Ist das Teil fies erbeutet oder ordentlich erworben worden? Selbst beim kostbaren Perlenthron aus Kamerun, den der Sultan von Bamun dem Berliner Häuptling Wilhelm II. „schenkte“ (die Berliner Zeitung schrieb dieses Wort bereits in Anführungsstrichen), ist man sich unsicher, ob nicht Zwang dahinter stand.
Die Deutschen hatten nach 1884 auf ihrem Unterwerfungsfeldzug durchs Land „etliche Ethnien massakriert, Dörfer verwüstet und Überlebende zur Sklavenarbeit verpflichtet.“ Um seinem Sultanat dieses Schicksal zu ersparen, stellte Ibrahim Njoya den Deutschen Soldaten für ihre „Strafexpeditionen“ zur Verfügung und trennte sich von seinem Thron, wobei er ein entsprechendes Gegengeschenk von Wilhelm II. erwartete. Er bekam jedoch nur eine Kürassier-Uniform und ein Orchestrion. Unter dem Aspekt des Warentauschs, bei dem es um Äquivalente geht, ein mindestens fragwürdiger Deal.
Da der Sultan zudem unter Druck stand, liegt ein Vergleich mit den „preisgünstigen“ Arisierungen von jüdischem Eigentum nahe. Unter dem Aspekt des Geschenketauschs, der nur die Verpflichtung zur Erwiderung der empfangenen Gabe beinhaltet, geht dieser asymmetrische Austausch aber eventuell in Ordnung.
Aus Gräbern ausgebuddelt
Bei den meisten Objekten ist die Sachlage weniger verzwickt. So gehörte zum Tross des schädelsammelnden Herzogs von Mecklenburg auch der Ethnologe Hans Fischer; er hat geschildert, wie sie an ihre „Beute“ kamen: Sie gingen immer dann in die Dörfer, wenn die „Eingeborenen“ nicht da waren – ungeniert betraten sie deren Hütten und nahmen sich, was ihnen wertvoll erschien. Dafür hinterließen sie die üblichen europäischen „Gegengeschenke“ (Tabak, Eisennägel, kleine Spiegel). Die Schädel und Knochen buddelten sie aus den Gräbern aus.
Der holländische Autor Frank Westermann erwähnt in seinem Buch „El Negro“ eine nach Europa verschleppte Afrikanerin, die so genannte „Hottentotten-Venus“ – Saartjie Sara Baartmann, die zuerst lebend auf Völkerschauen in Europa ausgestellt wurde und dann, nachdem sie in Paris gestorben war, der Wissenschaft diente.
Kein geringerer als der Begründer der Rassenanatomie George Cuvier, der eine Skala vom „geistig schwerfälligen Neger“ bis zum „innovativen“ weißen Europäer aufstellte, erwarb ihre Leiche – nicht zuletzt wegen ihres sensationell ausladenden Hinterteils und ihrer an den Beinen herunterhängenden Schamlippen. Letztere präsentierte er während eines Vortrags stolz in Spiritus konserviert: „Ich habe die Ehre,“ so schloss Cuvier seine Rede, „der Akademie der Wissenschaften die Genitalien dieser Frau anzubieten“.
2002 wurden Saartjie Sara Baartmanns Überreste – Skelett, Geschlechtsteile und Gehirn – an Südafrika zurückgegeben und beigesetzt.
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