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Flöten aus der Steinzeit„Wir lernen jedes Jahr dazu“

Der Archäologe Nicholas Conard gilt als der Entdecker der ältesten Musikinstrumente. Ein Gespräch über das Suchen und Finden in alten Höhlen.

Nicholas J. Conard vor der Rekonstruktion einer Höhlenzeichnung. Foto: Uni Tübingen
Interview von Julika Bickel

Nicholas J. Conard hat die ältesten Musikinstrumente der Welt entdeckt. Vor mehr als 35.000 Jahren haben Steinzeitmenschen bereits auf Flöten aus Knochen oder Elfenbein gespielt. Das älteste Exemplar hat der Forscher im Sommer 2008 in der Höhle Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb gefunden. Die Bruchstücke lagen in der untersten Schicht des Aurignacien, der ältesten Kulturstufe des modernen Menschen. Conard, 1961 in Cincinnati, Ohio, USA geboren, ist Professor für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an der Universität Tübingen. Am 14. August 2015 hat er bei der zweiten Sommerschule Musikarchäologie des Berliner Antike-Kollegs einen Vortrag über die ältesten Musiknachweise aus der Altsteinzeit gehalten.

taz: Herr Conard, wie sah es damals in der Altsteinzeit am Hohle Fels aus?

Nicholas Conard: Es war eine Zeit, in der moderne Menschen zum ersten Mal nach Mitteleuropa kamen, höchstwahrscheinlich entlang der Donau. Sie haben sich ausgebreitet und die Neandertaler verdrängt. Es war eine relativ offene Graslandschaft, in der es nur wenige Bäume gab. Auch die Tierwelt war anders: Es gab Mammuts, Wollnashörner, Rentiere, Pferde, Löwen, Hyänen, Steinböcke und vieles mehr. Der Mensch hat sich durch Jagen und Sammeln ernährt.

Die Flöte aus Gänsegeierknochen, die Sie 2008 im Hohle Fels gefunden haben, gilt als das älteste Musikinstrument der Welt …

Sagen wir so, es gibt auch zwei Fragmente von Elfenbeinflöten vom Hohle Fels, die aus der genau gleichen Schicht kommen. Acht von unseren publizierten Flöten hat die Außenwelt wahrgenommen. Die Flöten von den Höhlen Geißenklösterle und Vogelherd sind etwas schwer datierbar. Die Gänsegeierflöte ist mit Abstand am vollständigsten. Man erkennt, dass es wirklich eine Flöte ist, selbst als Laie. Und sie ist sehr alt. Vereinfacht kann man schon sagen, dass es die älteste und besterhaltene ist. Aber ein paar von den anderen Funden sind ähnlich alt.

Die zwölf Teile der Gänsegeierknochenflöte lagen verstreut in der Höhle. Zusammengesetzt ergaben die Fragmente die 22 Zentimeter lange, nahezu vollständig erhaltene Flöte. Könnte man auf ihr theoretisch heute noch spielen?

Nicht ohne die Löcher zu stopfen und das würden wir niemals tun. Die Flöte ist im Museum in Blaubeuren ausgestellt und nicht spielbar. Es konnten allerdings nachgemachte Flöten hergestellt werden und die sind sehr gut spielbar.

Haben Sie selbst einmal ausprobiert, auf einem solchen Imitat zu spielen?

Im Interview: 

Das Berliner Antike-Kolleg veranstaltete am 14. und 15. August 2015 seine zweite Sommerschule Musikarchäologie. Im Mittelpunkt standen Musikinstrumente und Musizieren von der Steinzeit bis zur Spätantike. In diesem Jahr ging es insbesondere um die Musik in kultisch-religiösen Zusammenhängen und um einzelne Instrumente wie die Lyra und die Doppelpfeife.

Nicholas Conard, einer der weltweit herausragenden Experten auf dem Gebiet der Musik in der Steinzeit, erzählte von den ältesten Musikinstrumenten der Menschheitsgeschichte. Darüber hinaus standen Forschungsmethoden der Musikarchäologie und praktische Anwendungen von Erkenntnissen, zum Beispiel im Bereich der Museumspädagogik, auf dem Programm. Die Musikarchäologen Arnd Adje Both und Jana Kubatzki haben die Sommerschule organisiert.

Ja, aber ich bin nicht besonders gut. Wenn Leute, die Flöte spielen können, hineinblasen wie Anna Friederike Potengowski, mit der ich viel zusammen arbeite, dann klingt es harmonisch und angenehm. Je nachdem welche Flöte gespielt wird, sind die Töne verschieden. Die Instrumente sind sehr vielseitig und bieten viele Möglichkeiten.

Glauben Sie, dass es in der Steinzeit noch andere Instrumente gab?

Ja, erst mal gehe ich davon aus, dass die Menschen geklatscht, gesungen und getanzt haben. Es gab vor 40.000 Jahren neben den Flöten vielleicht auch Trommeln und ähnliche Schlaginstrumente. Und ich kann mir ohne Probleme vorstellen, dass es auch Saiteninstrumente gab, aber die Belege dafür sind nicht da.

Wir müssen in der Wissenschaft radikal differenzieren zwischen dem, was wir beweisen können und dem, was wir denken, behaupten oder gerne hätten. Vielleicht gab es auch Hölzer oder Knochen, sogenannte Schwirrgeräte, die ein Geräusch produzieren, wenn man sie sehr schnell an einer Schnur im Kreis schwingt. Vieles ist denkbar, aber bewiesen sind momentan nur die Flöten.

Die zwei ältesten Darstellungen von Menschen, die bekannt sind, kommen aus der Höhle Hohle Fels.

Nicholas Conard

Warum haben die Menschen damals begonnen, zu musizieren?

Weil Musik so schön ist. Es verbreitet Freude, man überwindet Trauer, es ist für mich die schönste Form der Kunst. Die taktilen Aspekte der Kunst und die Optik sind auch wichtig, aber Musik kann sehr emotional sein. Wenn Sie ein Lied hören, können Sie heiter weiter, weil Sie das Lied mit etwas Schönem oder Lustigen verbinden, oder Sie weinen vor Freude oder aus Depression, weil Ihnen das Lied so viel bedeutet. Auf jeden Fall ist Musik etwas Besonderes.

In Baden-Württemberg haben Sie die spektakulärsten Funde gemacht, neben dem ältesten Musikinstrument auch die älteste figürliche Menschendarstellung, die Venus vom Hohle Fels. Warum sind die Bedingungen in den Höhlen auf der Schwäbischen Alb so gut, solche Kunstwerke zu entdecken?

Die Sedimente sind konstant feucht bei konstant circa acht bis zehn Grad. Die Erhaltung ist wirklich gut. Das sieht man auch bei Paläo-DNA-Untersuchungen und Datierungsmöglichkeiten. Aber ich habe auch anderswo schöne Funde gemacht, zum Beispiel im Iran, in Syrien, Südafrika, auch in Niedersachsen. Aber in der Tat, wenn es um Musikinstrumente geht, haben wir hier die besten.

Können Sie sich erklären, warum ausgerechnet Ihr Team die weltweit ältesten Musikinstrumente entdeckt hat?

Ja, es gibt zwei Gründe. Erstmals sind sie da. Und zweitens wissen wir, wie man sie findet, weil wir sehr sorgfältig arbeiten. Gerade heute Morgen habe ich per Zufall etliche kleine Fragmente gesichtet.

Was sind das für Fragmente?

Es sind Elfenbeinfragmente und Knochenfragmente, die höchstwahrscheinlich zu Flöten gehören.

Am 22. Juli haben Sie in diesem Jahr auch schon weitere Funde aus der Höhle Hohle Fels bekannt gegeben. Was haben Sie da Neues entdeckt?

Ein Teil einer zweiten Frauenfigur. Auch etwa 40.000 Jahre alt. Wenn man das etwas dramatisch darstellen will, dann kann man sagen: Die zwei ältesten Darstellungen von Menschen, die bekannt sind, kommen aus der Höhle Hohle Fels bei Schelklingen. Auch hier gilt: Die Stücke sind da, wir arbeiten sehr sorgfältig, lange und vorsichtig und finden die Stücke. Am Hohle Fels machen wir das seit 19 Jahren unter meiner Leitung. Diese Kontinuität ist entscheidend.

Ein gutes Beispiel dafür ist, dass die erste Elfenbeinflöte aus der Geißenklösterle-Höhle eigentlich schon in den 70er Jahren ausgegraben, aber erst im Jahr 2004 zusammengesetzt und identifiziert wurde. Wir bauen Schritt für Schritt auf die Arbeit unserer Vorgänger auf und lernen jedes Jahr Neues hinzu. Wenn man nur kurz und schnell pragmatisch arbeitet, führt das nicht wirklich irgendwo hin. Wenn man wiederum konsequent dabei bleibt, kommt etwas Gutes dabei heraus.

Was sind die einzelnen Arbeitsschritte bei einer Ausgrabung?

Zunächst entscheidet man, wo man graben will. Das ist vielleicht die wichtigste Aufgabe und auch gar nicht so einfach. Ich denke, da braucht man ein Gefühl für die Sache und ein bisschen Glück. Aber mit Erfahrung kann man schon einschätzen, wo Sedimente erhalten sind. Dann baut man ein Messnetz auf, damit man graben und alles einmessen kann. Man gräbt sehr sorgfältig durch die einzelnen Schichten und misst millimetergenau ab, wo die Stücke in den xyz-Koordinaten liegen.

Wie geht es dann weiter?

Die Sedimente kommen in einen Eimer und werden gewaschen. Die vielen kleinen, sauberen Bruchstücke sortiert man aus und dann beginnt die eigentliche Auswertung. Da wir Tausende über Tausende von diesen Eimern mit jeweils Hunderten, teilweise Tausenden Funde haben, brauche ich wirklich sehr gute Leute, die sie sortieren und zusammensetzen. Das ist eine sehr langatmige und aufwändige Arbeit. Man braucht gute Augen. Die Kontinuität und die erfahrenen Leute führen bei uns zum Erfolg.

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