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Antiqueere Aufklärung

Emanzipation Tjark Kunstreichs Aufsätze zur Politik der LGBT*-Szene sind ein Lichtblick im Dickicht der Identitätssucherei

Tjark Kunstreich zählt nicht zu den Üblichen der publizistischen Akteure in der LGBT*-Szene. Vorwiegend schreibt er seit vielen Jahren im linken Kommentarmagazin Konkret. Der Band „Dialektik der Abweichung“ versammelt eine Reihe von Texten aus den vergangenen anderthalb Jahrzehnten. Der Untertitel „Über das Unbehagen in der homosexuellen Emanzipation“ liest sich zunächst geheimnisvoll: Unbehagen an was?, Emanzipation von was? – doch die Überschriften der Essays („Schwulenhass in der Krise“, „Queer und ‚wir‘“, „Falsche Alternative“ u. a.) zeigen an, dass da einer nicht einverstanden ist mit den politischen Bewegungen der Schwulen (und Lesben, Trans* etc.) selbst.

Kunstreich, politisch verortet eher in sogenannt antideutschen Zirkeln, kritisiert so eisig wie scharf die realexistierende LGBT*-Bewegung – vor allem deren identitären Teil, den linken, queeren. Jene, denen bürgerliche „Normalität“ nichts ist. Er beharrt darauf, dass die Kritik an der Ehe für alle sich faktisch gemein macht mit allen, die von rechter Seite das Projekt der bürgerlichen Gleichstellung mit meist religiösen, jedenfalls heteroprivilegierenden Gründen bestreiten.

Der Autor ist historisch versiert, weiß vor allem um die Geschichte des linken Verrats an den Interessen der Privatheit von Homosexuellen: Auch Kommunisten and all that people hatten im Zweifel linke Homos immer auf die große Idee und gegen Bürgerrechte von Homosexuellen verpflichten können. Heute heißt es seitens Linker wie Judith Butler: Schweigt ob der Homophobie der Hamas, denn was wirklich zählt, ist der Niedergang des Imperialismus, also der USA und vor allem Israels.

Das Buch atmet aus der wütenden Tradition von Autoren wie Kurt Hiller, es ist ein verblüffend rücksichtsloses Analysieren: Das beste Buch der Saison zur Kritik der Queererei. Jan Feddersen

Tjark Kunstreich: „Dialektik der Abweichung. Über das Unbehagen der homosexuellen Emanzipation“. KVV Konkret 2015, 138 S., 15 Euro

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