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Der Geschichte entkommen

GEFÄNGNIS Das Kino Krokodil hat um den Start von „Himmelverbot“ eine Reihe mit Filmen über den Strafvollzug gruppiert

„Himmelverbot“ vermittelt nicht bloß Fakten, sondern erzählt eine Geschichte Foto: W-film /Tag/Traum Filmproduktion

von Matthias Dell

Es könnte sein, dass „Himmelverbot“ der Dokumentarfilm der Stunde ist. Erzählt wird eine Geschichte, deren Fakten in den Hater-Foren der Gegenwart garantiert als Scheite ins Feuer der eigenen Erregung demonstrativ nachgelegt würden: Ein Mörder kommt nach 21 Jahren aus einem rumänischen Gefängnis frei und migriert schließlich nach Deutschland für einen Neuanfang.

Aber „Himmelverbot“ vermittelt nicht Fakten, sondern erzählt eine Geschichte. Über Jahre hat Regisseur Andrei Schwartz den verurteilten Gabriel begleitet, den er während der Dreharbeiten zu „Jailbirds – Geschlossene Gesellschaft“ (2005) im Gefängnis Rahova am Rand von Bukarest kennenlernte. An dem jungenhaft Verblassten „Gabi“ lässt sich die Veränderung im Strafrechtsdiskurs ablesen: Er beging seine Tat noch in Ceauşescus Rumänien, allerdings kurz nach Abschaffung der Todesstrafe. Und seine Freilassung wird nur möglich, weil Rumänien zur EU gehört.

Wobei die Modernisierung des Begriffs von Strafe und Buße nicht gestützt wird durch soziale Praxis: Gabriel landet in einer Welt, die er nicht kennt, und in einer Familie, die schon ohne ihn nicht funktioniert – Mutter, Stiefvater, Onkel, alle sind mit sich beschäftigt. So fungiert der robuste Filmemacher Schwartz, der das On des Films selbstsicherer ausfüllt als sein Protagonist, zugleich als eine Art Bewährungshelfer. Über Schwartzens Kontakte landet Gabriel im Süden Deutschlands, um sich dort an Spülmaschinen, als „Kaiser of Müll“ und vor Dixi-Klos zu verdingen. „Himmelverbot“ feiert diesen Schritt nicht kitschig als Rettung, sondern begründet ihn aus der Erzählung des Verbrechens (die Richtigkeit von Gabriels Version überprüft Schwartz parallel): Gabriel weiß, dass er seiner Geschichte auch in Deutschland nicht entkommen wird; deshalb will er sich unentbehrlich machen, um dem Moment der Entdeckung und Nachfragen etwas entgegensetzen zu können.

Das Kino Krokodil hat um den Filmstart von „Himmelverbot“ eine kleine Reihe organisiert, in der etwa „Jailbirds“ noch einmal zu sehen sein wird (18. 8.). Unter dem Titel „Putewka w schisn – Der Weg ins Leben“ werden bis in den September hinein „Bilder von Straffälligen und Strafvollzug“ gezeigt. Die Perspektive ist historisch, der älteste, titelgebende Beitrag (“Putewka w schisn – Der Weg ins Leben“ von Nikolai Ekk; 28. 8.) stammt von 1931. Darin fungiert das Arbeitslager als Ort, an dem Umerziehung die propagandistische Idee von der Besserung des neuen Menschen affirmiert.

An „Gabi“ lässt sich die Veränderung im Strafrechtsdiskurs ablesen

Wie sich solche Vorhaben in der Realität der sozialistischen Gesellschaftsordnung ausnahmen, zeigt etwa Herz Franks für die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis sensibler Film „Sapretnaja Sona – Verbotene Zone“ von 1975, indem der Anteil des Strafvollzugs an den Biografien jugendlicher Delinquenten hinterfragt wird. Ähnlich verhält es sich mit Thomas Heises Originaltonhörspiel „Vorname Jonas“ von 1983 (26. 8., als Vorprogramm von Heises filmischem Kleinkriminellenportrait „Wozu denn über diese Leute einen Film?“), in dem der Einfluss des sogenannten Asozialenparagrafen auf das Leben des Hauptdarstellers vermessen wird.

In einem Kurzfilmprogramm von drei Defa-Filmen (20. 8.) ist das Ringen zwischen Wunsch und Wirklichkeit in die Form eingewandert. So kann in Heinz Müllers „Z (Haftentlassung)“ die Sprechautomatenhaftigkeit aller Protagonisten so wenig wie das „Ännchen von Tharau“-Singen des Gefängnischores über die Zweifel hinwegtäuschen, dass der in seinen Heimatort entlassene Sträfling dort problemlos resozialisieren wird. Und das, obwohl die DDR in ihrer Mischung aus Kontrolle und Bemutterung entlassenen Gefangenen fürsorgliche Überwachung angedeihen ließ.

Der Dokumentarfilm „Frank“ von Hans Wintgen, der zur Vorführung zu Gast sein wird, beobachtet einen Häftling vor der Freilassung in das turbulente Frühjahr 1990. In der zentralen Szene steigert sich das Lamento dreier Mitgefangener in einen fast komischen Pessimismus gegenüber der Freiheit. Es offenbart sich, wie bei Gabriel aus „Himmelverbot“, nichts anderes als die Angst, die eigene Geschichte nicht neu schreiben zu können und an den Festlegungen von außen zu scheitern. „Die Realität kommt draußen auf sie zu“, sagt der Wärter unfreiwillig lapidar.

Der Weg ins Leben: Kino Krokodil, Greifenhagener Str. 32, ab 11. 8., www.kino-krokodil.de

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