piwik no script img

„Fidelio“ auf den Salzburger FestspielenEr stirbt womöglich

Beethovens „Fidelio“ ist ein harter Brocken Musiktheater. Die Inszenierung von Claus Guth hilft dem Verständnis nicht. Nur die Musik reißt es raus.

„Fidelio“ im klassizistischen Minimalismus. Foto: Monika Rittershaus

Der erste Ton entscheidet alles: Aus dem Stand muss Florestan mit einem hohen „g“ im Piano einsetzen und dann das fatale Wort „Gott!“ langsam zum Schrei aufblühen lassen. So will es Beethovens Partitur. Eine stimmliche Zumutung und ein Ereignis, nach dem das Publikum giert. Selten war man so gespannt auf diesen nackten ersten Ton wie nun bei der Salzburger Neuproduktion von „Fidelio“, die in Sachen PR ganz auf Tenor-Superstar Jonas Kaufmann zugeschnitten ist.

Doch wenn dann endlich der zweite Aufzug beginnt – denn Florestan ist ja mitnichten die Hauptrolle im „Fidelio“, sondern jene Leonore, die sich als Fidelio ausgibt –, sieht man während des langen Vorspiels nur Christian Schmidts öden schwarzen Kubus auf der leeren Bühne des klassizistischen weißen Salons, den Regisseur Claus Guth sich von seinen Bühnenbildnern in Varianten immer wieder bauen lässt. Kein Florestan in Sicht.

Dann aber quält sich langsam das „g“ hinter dem Kubus hervor. Es klingt diffus und flackernd, bevor es in einem stahlharten Forte aufgeht. Den Helden des gaumig-engen „g“ sieht man erst etliche Takte später, wenn er sich zögernd am Kubus entlang nach vorn tastet. Kneift Jonas Kaufmann vor dem berühmten Einstieg durch Reinschleichen?

Wahrscheinlicher ist, dass in dieser mutlosen Szene Kaufmanns bestenfalls achtbare Stimm-Leistung und Claus Guths Regie-Minimalismus auf markante Weise zusammentreffen. Ein Schlüsselmoment dieses durchwachsenen Abends, bei dem durchweg eine tiefe Kluft zwischen Bühne und Orchestergraben gähnt: Unten entfesseln die Wiener Philharmoniker in Bestform unter Franz Welser-Mösts emphatischem Dirigat den ganzen idealistischen Furor von Beethovens Befreiungsoper, während auf der Bühne überwiegend Stillstand, konzeptionelle Ratlosigkeit und – mit Ausnahme von Hans-Peter Königs imposantem Rocco und weiteren Nebenrollen – gesangliches Mittelmaß herrschen.

Dirigent Franz Welser-Möst denkt den Fidelio symphonisch, das Drama findet in der Musik statt, das grandiose Orchester dominiert den Abend

„Fidelio“ ist allerdings ein harter Brocken: Beethovens einziges Musiktheaterwerk ist eine dramaturgisch ungleich ausbalancierte Mischung aus Singspiel und großer Oper und schleppt schwer an seiner humanistischen Botschaft. Als zentrales Problem erweisen sich die gesprochenen Dialoge, die altbacken wirken und aus Sängermund meist ungelenk klingen.

Klarer Fall von Betriebsblindheit

Claus Guth entledigt sich dieses Problems, indem er sämtliche Dialoge ersatzlos streicht und selbst dem Melodram im 2. Akt den Text amputiert. Es würde ohnehin alles gesungen, was geschehe, behauptet der Regisseur. Ein klarer Fall von Betriebsblindheit, denn die Vorgänge der holperigen Handlung erklären sich keineswegs aus den Gesangsnummern. Guth ersetzt nun die Dialoge durch elektronisch erzeugte Sounds aus dem Off: Mal dröhnt es dumpf, dann hört man schweren Atem, später saust ein ferner Sturm.

Der typisch Guth’sche Großbürger-Salon ohne Türen will laut Programmheft ein „Salon des Unbewussten“ sein, der Regisseur raunt ferner von einem „Mosaik der Einsamkeiten“ und von Kafka. Von all dieser Bedeutungshuberei kommt auf der Bühne wenig an, es dominiert vielmehr das Rampensingen mit abgezirkelten Minimal-Bewegungen.

Leonore (Adrianne Pieczonka mit flirrendem, übersteuertem Sopran und unsauberen Höhen) wird ein Gebärdensprachen-Double zugesellt, was wohl eine, reichlich banale, Anspielung auf Beethovens Taubheit sein soll. Auch Bösewicht Pizarro (Tomasz Konieczny mit bellendem Bariton) hat ein stummes Nosferatu-Double, später werden es mehr als zehn.

Und Florestan? Der bleibt, wie der Rest des Personals, ohne Double und ist offenbar psychisch krank. Auch als er befreit wird, weicht die Pein nicht. Die Diagnose lautet „posttraumatische Belastungsstörung“, denn Florestan bleibt beziehungsunfähig, das hohe Paar findet sich am Ende nicht, dafür geht Florestan zu Boden und stirbt womöglich. Oder auch nicht.

Prima la Musica!

Die Musik reißt es raus an diesem Premierenabend. Dirigent Franz Welser-Möst hatte vorab bereits zu Protokoll gegeben, „Fidelio“ sei ja gar keine Oper, sondern „Musik mit einer Handlung“, und genau das zieht er dann auch triumphal durch. Welser-Möst denkt „Fidelio“ symphonisch, das grandiose Orchester dominiert den Abend, das Drama findet in der Musik statt.

Exemplarisch kurz vor Schluss, nach dem Duett „O namenlose Freude!“: Da fällt tatsächlich noch einmal der Vorhang, und dann erklingt die 3. Leonoren-Ouvertüre. So furios, dass im großen Festspielhaus ein Beifallssturm losbricht, der den Schlussapplaus bei weitem übertrifft. Der alte Opernstreit ist zumindest an diesem Abend eindeutig entschieden: Prima la Musica!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ob alles genau so war, weiß ich natürlich nicht. Aber die glänzend geschriebene Kritik von Frau Müller ist sehr plausibel und eindrucksvoll. Und Welser-Möst ist wirklich Klasse. Danke für die Schilderung des Fidelio in Salzburg.