piwik no script img

Türkei: Sprengstoff gegen den Krieg

KURDEN Bei einem Anschlag der PKK sterben zwei türkische Militärpolizisten. Die Polizei warnt vor Anschlägen in den Städten im Westen des Landes. Viele Türken befürchten eine Eskalation des Konflikts im eigenen Land

„Frauen für den Frieden“ protestieren am Wochenende in Istanbul gegen Erdoğans Krieg gegen die PKK Foto: Osman Orsal/reuters

AUS ISTANBUL Jürgen Gottschlich

Mit einem spektakulären Selbstmordattentat auf eine Gendarmeriestation in der Nähe der iranischen Grenze bei Doğubeyazıt hat die kurdische PKK am Sonntag auf neuerliche Luftangriffe auf PKK-Camps im Nordirak reagiert.

Ein mit Sprengstoff beladener Traktor wurde vor das Tor der Kaserne gelenkt und gezündet. Zwei Militärpolizisten starben, 31 weitere wurden verletzt. Nach der Detonation nahmen PKK-Kämpfer den Stützpunkt unter Feuer und verzögerten so Rettungsmaßnahmen. Wenig später fuhr eine Militärpatrouille im Raum Mardin auf eine Mine, ein weiterer Soldat starb und sieben wurden schwer verletzt. Türkische Bombenangriffe und kurdische Anschläge erfolgen mittlerweile in so schnellem Wechsel, dass kaum mehr wahrnehmbar ist, was nun Reaktion oder aber gezielte Aktion einer Seite ist.

Klar ist nur, dass sich innerhalb von einer Woche der kurdisch bewohnte Südosten der Türkei wie der Nordirak in eine Kriegszone verwandeln. Die Kämpfe zwischen der PKK und der Armee greifen immer mehr auch auf die Bevölkerung über.

In Mardin und Van im Osten der Türkei griffen kurdische Jugendliche in den letzten Nächten Polizei- und Gendarmerie-Posten mit Steinen und Molotowcocktails an. In Tunceli und Kars wurden Lkws in Brand gesetzt. Eine ganze Region wird mehr und mehr zur Aufstandszone. Es steht zu befürchten, dass die türkische Regierung in den kurdischen Provinzen erneut den Ausnahmezustand verhängen könnte.

Die Polizei warnt in Istanbul davor, die Metro zu benutzen

Aber auch der Westen des Landes bleibt von dem Konflikt nicht verschont. Die Polizei warnt in Istanbul davor, die Metro oder den Metrobus zu benutzen, weil beide Verkehrsmittel potenzielle Anschlagsziele seien. Auch Einkaufszentren und Plätze mit großen Menschenansammlungen sollen gemieden werden. Die Spannungen machen sich in Istanbul und den anderen Metropolen im Westen der Türkei nur deshalb noch nicht so bemerkbar, weil im August ein großer Teil der Bevölkerung in ihre Herkunftsdörfer oder Sommerdomizile gereist ist.

Dennoch entwickeln sich Initiativen, die gegen die Kriegspolitik der Übergangsregierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu und Staatspräsident Erdoğan mobilmachen. Am Wochenende demonstrierte in Istanbul mit Unterstützung der kurdisch-linken HDP eine Gruppe „Frauen für den Frieden“. Sie forderten eine sofortige Einstellung der Waffengewalt auf beiden Seiten. Ebenfalls in Istanbul verlangten Intellektuelle, Staat und Guerilla sollten die Waffen sofort niederlegen und einen neuen Anlauf zu Gesprächen machen.

Noch werden die Forderungen nach einem Waffenstillstand hauptsächlich aus dem Umfeld der kurdisch-linken HDP unterstützt, aber der Kreis der Kritiker des Kriegskurses weitet sich aus. Die meisten Kurden sind entsetzt über die Rückkehr des Krieges. Aber auch viele Türken sind besorgt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen