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Deutschland stolpert in die Bildungsrepublik

KMK Kultusminister und Hochschulrektoren wollen den Bachelor noch studierbarer machen. Die Studenten bleiben skeptisch

Beschlüsse der KMK 

Flexible Studiendauer: Künftig darf ein Bachelor-Studiengang bis zu acht Semester dauern, ein Master bis zu vier. Das gesamte Studium von Bachelor und Master soll dabei nicht mehr als zehn Semester in Anspruch nehmen.

■ Weniger Prüfungen: Nicht jede Einzelveranstaltung, sondern jedes Modul, eine Einheit von Veranstaltungen, soll mit einer Prüfung abgeschlossen werden.

■ Weniger Arbeitsaufwand: Der sogenannte Work Load ist auf 32 bis 39 Stunden pro Woche bei 46 Wochen im Jahr begrenzt.

■ Mehr Mobilität: Bei Wechsel von Hochschule oder Studiengang sollen, sofern keine wesentlichen Unterschiede bestehen, die bereits absolvierten Module wechselseitig anerkannt werden.

AUS BERLIN UND BONN CHRISTIAN FÜLLER UND ANDREAS WYPUTTA

Die Kultusminister verständigten sich gestern auf ein Notprogramm für das Bachelorstudium. Es soll weniger Prüfungen geben, weniger Arbeitsbelastung und mehr Zeit fürs Studium. Am weitesten geht Nordrhein-Westfalen.

Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat sich mit den Rektoren seines Landes getroffen. Die Hochschulen sollen ihre Studiengänge sofort einem Bachelor-Check unterziehen. Das bedeutet, sie sollen die Zahl der Prüfungen und die Studierbarkeit testen. Im Gegenzug erteilt Pinkwart den Hochschulen eine Ausnahmegenehmigung, überzählige Prüfungen unverzüglich abzuschaffen. „Es ist gut, dass alle Wissenschaftsminister dem Beispiel der nordrhein-westfälischen Unis gefolgt sind, den Studenten sofort mit einem Bachelor-Check zu helfen“, sagte Pinkwart der taz.

Rund 600.000 von 2,1 Millionen Studenten waren zuletzt in Bachelor- oder Masterstudiengängen eingeschrieben. Von den über 420.000 Studienanfängern belegen bereits 74 Prozent den neuen Studiengang – der allerdings in weiten Teilen als nicht studierbar gilt. Es gibt zu viele Prüfungen in zu kurzer Zeit. Die ursprüngliche Absicht, das Studium bis zum ersten Abschluss leichter studierbar und internationaler zu machen, wurde vollkommen verfehlt. Selbst der Präsident der Kultusministerpräsidenten Harry Tesch (CDU) gab im Deutschlandfunk zu: „Wir hätten uns viel früher um Probleme wie Stofffülle und Prüfungsdichte kümmern müssen.“

Allerdings gibt es nicht wenig Skepsis, ob die späte Kehrtwende der Kultusminister, die ihren Bachelor bislang als Meisterstück bezeichneten, gelingen wird. Erster Knackpunkt: Warum sollten die Hochschulen nun einen Studiengang entrümpeln, den sie selbst mit Lerneinheiten und Prüfungen vollgestopft haben? „Die Umsetzung solcher Beschlüsse funktioniert nicht in allen Fällen von heute auf morgen“, gestand selbst der Wissenschaftsminister Baden-Württembergs, Peter Frankenberg (CDU), der taz. „Wir sind schon seit längerer Zeit in einem ständigen Gespräch mit den Hochschulen, um die Studienbedingungen auch schon kurzfristig zu optimieren.“

Zweiter Knackpunkt: Die Studenten haben kein Vertrauen mehr in die Minister, Rektoren und Professoren. „Das sind alles leere Versprechungen“, sagte Christian Döhring, Student aus Marburg, bei den Kundgebungen am Rand der Kultusministerkonferenz. „Wir wollen keine Reform der Reform der Reform.“ Anton Thun, ein Schüler des Bonner Alexander-von-Humboldt Gymnasiums, sagte: „Wir brauchen keine Schönheitskorrekturen.“ Nicht wenige der rund 4.500 Demonstranten, vor denen sich die Kultusminister sorgfältig abschirmen ließen, drängten darauf, die Aktionen zu radikalisieren. „Wir können auch Anwesenheitslisten klauen und Flashmobs inszenieren“, sagte ein Student der taz. „Wir lassen uns nicht mehr verarschen.“

Was die Studenten wütend macht, sind die aktuell schwierigen Studienbedingungen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) jubelte zwar, „wir sind auf gutem Weg in die Bildungsrepublik“ – gerade weil es so viele neue Studierende in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) gebe. Das sehen die Fachleute aber ganz anders. Die Online-Stellenbörse JobStairs beklagte einen „erheblichen Mangel“ an Fachpersonal in den MINT-Bereichen.

Der Präsident des Verbandes Maschinen- und Anlagenbau, Manfred Wittenstein, sagte: „Fast jeder Zweite erreicht den Abschluss im Maschinenbaustudium nicht. Das ist ein Armutszeugnis für unser Bildungssystem.“ Er machte direkt das Bachelorstudium dafür verantwortlich, bei dem zwei Drittel der Abbrecher laut einer Studie schon in den ersten beiden Semestern aufgeben. „Gerade am Anfang des Studiums verlieren wir zu viele“, so Wittenstein.

Und die wirklich harten Zeiten kommen erst noch. Laut Prognosen werden die Studentenzahlen ab 2010 rasant ansteigen. Derzeit sind es zwei Millionen Studierende. Erwartet werden in wenigen Jahren zwischen 2,2 und 2,5 Millionen Studierende – vor allem wegen der doppelten Abiturjahrgänge, die ab 2011 auf die Hochschulen kommen. „Nur mit 500.000 zusätzlichen Studienplätzen und besten Studienbedingungen für alle lassen sich Studienverzicht und Abbruchquoten senken“, sagte daher der hochschulpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Kai Gehring.

Miesmacherei der Opposition? Nein, Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) stimmte zu: „Entscheidend ist nächste Woche der Bildungsgipfel: Erhalten unsere Hochschulen das Geld, um die Betreuungsrelation deutlich zu verbessern? Das ist die Gretchenfrage, wenn Bund und Länder Ernst machen wollen mit der Bildungsrepublik.“

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