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Krank durch StrahlungAtomarbeiter leben gefährlich

Eine Studie ergibt, dass AKW-Mitarbeiter ein erhöhtes Krebsrisiko haben. 300.000 Personen wurden untersucht, 531 starben an Leukämie.

Das AKW nahe Neckarwestheim – eine tödliche Angelegenheit bisweilen Foto: reuters

Freiburg taz | Mitarbeiter in Atomanlagen haben offenbar ein erhöhtes Leukämierisiko. Das ergab eine internationale Langzeitstudie, von der das renommierte medizinische Fachmagazin The Lancet Haematology in seiner Juliausgabe berichtet. Die Studie trägt den Namen International Nuclear Workers Study (Inworks), federführend betreut vom Institut de radioprotection et de sûreté nucléaire in der Nähe von Paris.

Mediziner hatten Strahlenexpositionen und Erkrankungen von mehr als 300.000 Mitarbeitern von Atomunternehmen in Frankreich, Großbritannien und den USA untersucht. Da alle diese Personen im Dienst mit persönlichen Dosimetern ausgestattet sind, liegen für jeden Einzelnen präzise Angaben über die jahrelang erhaltene Strahlendosis vor, ein für Wissenschaftler großer Datenschatz.

Die arbeitsbedingte Strahlenbelastung der Kraftwerksarbeiter war zwar relativ gering, ihre Dosis lag im Mittel um etwa 1,1 Millisievert pro Jahr höher als der Wert, der sich durch die natürliche Hintergrundstrahlung auf der Erde ergibt. Dieser liegt bei etwa 2 bis 3 Millisievert pro Jahr. Trotzdem gebe es, so heißt es in der Studie, „starke Hinweise“ darauf, dass lange währende niedrige Strahlendosen Leukämie verursachen können. Aber auch Lymphome und multiple Myelome, eine Krebserkrankung des Knochenmarks, kamen unter den Atomarbeitern häufiger vor als in der Durchschnittsbevölkerung. 531 Arbeiter starben an Leukämie.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass die doppelte Strahlenmenge ein doppeltes Leukämierisiko ergibt. Diese Erkenntnis ist zwar nicht grundsätzlich neu, doch sie wurde bislang nie anhand so vieler Personen mit dokumentierter Strahlenexposition untersucht.

Dass radioaktive Strahlung, und sei sie noch so gering, dazu führen kann, dass Zellen entarten und Krebszellen entstehen können, ist in der Medizin weitgehend unumstritten: „Eine untere Grenze oder einen Schwellenwert, unterhalb dessen ionisierende Strahlung unschädlich wäre, gibt es nicht“, schreibt das Deutsche Krebsforschungszentrum. Diese Aussage ist mit der neuen Studie belegt.

Bezahlt wurde die Untersuchung übrigens teilweise von öffentlichen Institutionen, unter anderem aber auch von Atomunternehmen wie Areva oder EDF aus Frankreich.

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9 Kommentare

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  • Die Studie hat Stärken (300.000 berücksichtigte Arbeiter) und Schwächen: Die ausserberufliche medizinische Strahlendosis war nicht bekannt und ist dementsprechend unberücksichtigt geblieben. Letzteres vermindert zwar den Aussagewert der Studie, aber keineswegs soweit, dass nicht von klaren Hinweisen auf die gesundheitliche Beeinträchtigung durch Niedrigstrahlung etwa aus AKW gesprochen werden kann. Einzelne anderslautende Kommentare in Nature und auch hier, welche die Studie als grob fehlerhaft abqualifizieren wollen, müssen wohl als Folge der starken Verunsicherung von AKW-Freunden durch diese Ergebnisse gewertet werden.

  • Frankreich, Großbritannien und die USA , in denen die Studie durchgeführt wurde, sind allesamt Industriestaaten, die jahrzehntelange Erfahrungen mit der zivilen Kernkraftnutzung haben.

    Trotzdem dieses beunruhigende Ergebnis!

     

    Aus gegebenem Anlass möchte ich mal an den Iran erinnern, auch wenn das anscheinend nicht politisch gewünscht ist: Das „hervorragende Ergebnis der G5+1-Verhandlungen“ (Steinmeier) ermöglicht es dem Iran, mit dem Segen der Großmächte und D., seine zivile Kernkraftnutzung in vollem Umfang hochzufahren!

     

    Darf man fragen, wie es den dort Beschäftigten in einigen Jahren gehen wird? Die G5+1 interessiert das nicht, die Mullahs werden sich in Schweigen hüllen und eine Anti-AKW-Bewegung, die das Land aufrütteln könnte, gibt es offenbar nicht.

     

    Der Iran hätte noch weit bessere Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen, als D.. Leider wurde die Gelegenheit vertan, wegen der Atomkraft als „Sache des nationalen Stolzes (Achmadinedschad, ehemaliger Präsident) und zum Schaden der künftigen Strahlenopfer!

  • Die Studie zeigt ein verzerrtes Bild.

    Strahlendosimeter erfassen nur eine bestimmte Strahlungsart.

    Schwach radioaktive alpha Strahlung, auch weiche genannt, wird völlig ausgeblendet.

    Wer im medizinischen Bereich der Bestrahlung von Krebspatienten in der Radiotherapie arbeitet, ist ungleich höhere Dosis ausgesetzt.

    Die Teilchenbeschleuniger, mit dem verschiedene Arten von ionisierender Strahlung erzeugt werden, ionisiert die gesamte Raumluft.

    Die 10 Minuten Wartezeit bevor der Raum betreten werden kann, wird meist nicht eingehalten.

    In solchen Räumen ist eine Dosimeter ein Feigenblatt weil es nichts, absolut nichts feststellt.

  • ganz toll, doppelte Dosis, doppeltes Risiko, schau an, na sowas !

  • Der Taz-Artikel erweckt den Anschein, dass die 531 Leukämietoten der erhöhten Strahlenexposition zugeschrieben werden können. Dem ist keineswegs so. Maßgeblich ist die Differenz zu der (ohne "Atomstrahlen") erwarteten Zahl. Diese Differenz wiederum liegt bei unter 30. Nun ist das Problem aber folgendes: die Zahl der erwarteten Leukämietoten kann nur mit einer gewissen Unsicherheit geschätzt werden (Es sterben ja nicht immer gleich viele Menschen daran). Und diese Unsicherheit liegt, sie werden es vielleicht erraten, gerade in dieser Größenordnung. Also wieder eine Studie, die versucht, mit seltenen Erkrankungen irgendwelche Zusammenhänge zu konstruieren. Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich vielleicht den Nature-Artikel zu dieser Studie (und die Kommentare dazu!) ansehen: http://www.nature.com/news/researchers-pin-down-risks-of-low-dose-radiation-1.17876

  • Ihr seid ein bißchen spät dran mit eurer Meldung! Irreführend ist sie auch, denn die Studie weist eine Reihe methodischer Fehler auf, die das Ergebnis ruinieren. Vor allem haben die Autoren nur die beruflich bedingte Strahlung erfaßt, medizinische Strahlendosen jedoch unter den Tisch fallen lassen. Letztere sind aber im Vergleich zur beruflich bedingten Strahlenexposition durchaus signifikant, besonders in den letzten Jahrzehnten. Da die Studie somit auf einer mangelhaften Datenbasis fußt, sind ihre Ergebnisse nichts wert, getreu dem Motto: »Aus Falschem folgt Beliebiges«.

     

    Mehr dazu in diesem Beitrag der Nuklearia: http://nuklearia.de/2015/06/28/experte-fundamentaler-fehler-in-strahlungsstudie/.

     

    Eine spannende Diskussion zu diesem und weiteren Fehlern der Studie findet sich im Kommentarbereich dieses Artikels in der Fachzeitschrift »Nature«: http://www.nature.com/news/researchers-pin-down-risks-of-low-dose-radiation-1.17876.

     

    Rainer Klute

    Nuklearia e. V. (Vorsitzender)

    • @Rainer Klute:

      Danke für die aufschlussreichen Links!

      • @Camilo:

        Sehr gerne, @Camilo!

        • @Rainer Klute:

          Bitte, bittte, Kollege. Sie glauben also das die Gruppe der 300k Mitarbeiter im Schnitt eine Signifikant höhere Strahlendosis als die Bevölkerung abbekommen hat, und zwar nicht durch die per Dosimeter dokumentierte Strahlung im Arbeitsbereich, sondern bei medizinischen Untersuchungen, und deshalb die erhöhte Strahlung in Arbeit niemals Krebs verursacht, die in der Medizin aber für alle in der Studie dokumentierten Fälle? Äußerst plausibel... Bitte gerne Danke lieber Vorsitzender