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PREIS Gabriele Goettle, renommierte taz-Autorin, erhält nun den Johann-Heinrich-Merck-PreisVon links unten

Illustration: Heinz-Dieter Falkenstein/zoonar

von Nina Apin

Ihre Manuskripte kommen immer mittwochs. Noch vor wenigen Jahren waren es dicke, maschinenbeschriebene Papierstapel, die eine Redakteurin ins Computerprogramm der taz übertragen musste. Inzwischen schickt Gabriele Goettle ihre Texte per Mail, mit digitalen Fotos im Anhang. Trotzdem ist es immer noch etwas Besonderes, wenn wieder, etwa alle zwei Monate, „ein Goettle“ die taz erreicht: Einer dieser über die Ufer des Zeitungsüblichen tretenden Langtexte, denen Inhalt alles ist. Und Form recht wenig.

Wenige aus der taz kennen die sagenumwobene Reporterin Gabriele Goettle persönlich. Es heißt, sie lebe in einem abgeschiedenen Häuschen in Brandenburg. Es heißt, sie sei ein wenig sonderbar, nehme mit einer alten Bandmaschine auf, lasse keinerlei Korrektur ihrer Texte zu. Das Eigensinnige jedenfalls liest man aus jeder Zeile ihrer Reportagen heraus, die früher stets ein merkwürdiges Logo zierte: „Freibank. Kultur minderer Güte amtlich geprüft“ stand da, neben einem gezeichneten Krokodil mit Essbesteck in der Hand.

Das Krokodil-Logo ist weg. Goettles zweiseitige Texte wirken trotzdem wie aus der Zeit gefallen: sperrige Textmassen, die auf zeitgenössische Leserfreundlichkeiten verzichten. Doch lässt man sich einmal aufs Lesen ein, erhellen die Texte. Es sind sorg­fältig ausgeleuchtete, akribisch nacherzählte Begegnungen mit Personen und Themen: eine Frau im Altenheim, ein LPG-Leiter. Gesundheitssektor, Sterbehilfe, Atom­industrie. ­Goettles Methode ist ein 70er-Jahre-Journalismus, der am amerikanischen New Journalism und Protagonisten wie dem legendären Radio-Interviewer Studs Terkel geschult ist: So nah wie möglich bei den Menschen, so kritisch wie möglich die Strukturen hinterfragend, in denen sie sich bewegen. Immer voller Misstrauen der sogenannten Hochkultur gegenüber, überhaupt gegenüber allen Konventionen. Aus mündlich weitergebenen Geschichten von den Rändern der Gesellschaft entsteht Geschichte von unten. Genauer gesagt: von links unten.

Goettle nähert sich den Menschen und den Themen, die sie bewegen, mit kompromissloser Ernsthaftigkeit, einer distanzlosen, fast kindlichen Neugier. Sie will einfach alles wissen. Und mutet dem Leser ganze Biografien zu.

So nah wie möglich bei den Menschen, so kritisch wie möglich die Strukturen hinterfragend

Etwa so: „Gerhard Baader, Medizinhistoriker, apl. Prof. am Friedrich-Meinecke-Institut (FMI) der Freien Universität Berlin, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften. Er besuchte Grundschule u. Gymnasium in Wien. Unfreiwilliger Abgang, 1942–1944 Zwangsarbeit, 1944–1945 Arbeitslager. 1946 Matura. 1948–1952 Studium der klassischen Philologie, Germanistik, Linguistik und Geschichtswissenschaft an der Universität zu Wien.“ Und so geht das noch viele Zeilen lang. Wobei die Biografien nur Zusatzinformationen sind. Eingestreut in lange, mäandernde Gespräche, die überraschende Wendungen nehmen können. Etwa, wenn sich der Penner aus dem Park als Erfinder des Me­thadons entpuppt.

Goettles Werke, ihre seit den achtziger Jahren in der taz erscheinenden Reportagen, ihre Erzählungen und Essays, haben stets etwas Literarisches. Längst hat ihr beständiges Nachdenken über den Zustand der Welt und der Menschen die linke Nische verlassen. Auch jenseits der taz und Enzensbergers „Anderer Bibliothek“ fand sie immer mehr Anhänger. Ihre erst Anfang der Neunziger erschienen Bücher „Deutsche Sitten“ und „Freibank“ wurden von Frank Schirrmacher in der FAZ euphorisch gefeiert. „Der Augenblick“, eine Auswahl von taz-Texten, erschien als gewichtiges Hard­cover beim Verlag Antje Kunstmann.

Jetzt hat sie den renommierten Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay erhalten. Wir gratulieren herzlich.

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