Shitstorm in Poetry-Slamszene: „Sexismus ist nicht normal“
Mit ihrem Text „Was ich habe“ prangert Bente Varlemann Sexismus öffentlich an. Wegen der heftigen Reaktionen kritisiert sie nun auch die Poetry-Slam Szene
taz: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Bente Varlemann: Ich finde, solche Bezeichnungen schränken eher ein. Es gibt so viele unterschiedliche Perspektiven auf Feminismus. Meine Sichtweise verändert sich immer wieder. Ich bin feministisch eingestellt, würde mich aber selbst nicht als Feministin bezeichnen. Nicht, weil der Begriff oft negativ verwendet wird, sondern weil es Leute gibt, die sich so bezeichnen, deren Meinung ich nicht komplett teile.
Warum setzen Sie sich gegen Sexismus ein?
Sexismus ist nicht normal und sollte nicht alltäglich sein. Du wirst aber dahingehend sozialisiert, dass bestimmte Verhaltensweisen, die Stimme, Gestik, Mimik männlich oder weiblich konnotiert sind. Mir geht es nicht darum, das eine oder andere schlechter zu machen, sondern zu dekonstruieren. Und ich weiß, dass das unter den Gegebenheiten eigentlich unmöglich ist. Aber es geht darum, das in den Kleinigkeiten zu machen und vielleicht sind das auch manchmal Großigkeiten. Viele Leute fühlen sich durch dieses Publikmachen nicht mehr so allein damit, auch ich.
29, studiert soziale Arbeit in Hamburg. Seit 2006 tritt sie bei verschiedenen Poetry-Slams auf.
Slams sind Dichterwettstreite, bei denen selbst verfasste Texte von circa fünf Minuten Länge vorgetragen werden.
Wie ist es zu dem Text „Was ich alles habe“ gekommen?
Mich hat das Thema Sexismus beschäftigt. Ich habe ziemlich viel darüber gelesen und mich mit Queer-Feminismus auseinandergesetzt. Ich hatte gerade die Zeit, sozusagen ein kleines Selbststudium zu betreiben. Ich hatte einen kleinen Lesezirkel mit einer Freundin. Wir haben uns über unsere Erfahrungen unterhalten. Irgendwann hat es mir gereicht und ich habe diesen Text geschrieben.
Was für Reaktionen gab es dazu?
Meistens fühlen sich die Leute persönlich angegriffen, die vom Sexismus nicht betroffen sind. Da gibt es welche, die sehr offensiv und aggressiv sind und so mit mir diskutieren wollen. Aber es gibt auch Leute, die es verstehen, obwohl sie nicht selbst von Sexismus betroffen sind. Ich habe durch den Text auch Menschen bei Auftritten kennen gelernt, die mir sehr viel Zuspruch gegeben haben. Das war total gut, weil ich doch ziemlich daran gezweifelt habe, ob ich das aushalten kann. Es ist ein persönlicher Text und sonst stehe ich oft auf der Bühne und spiele eine Art Rolle. Bei diesem Text vermischt sich die Rolle so stark mit mir, dass ich bei Kritik auch an mir selbst zweifle.
Was hat das Ganze für Sie persönlich verändert?
Es hat mir eine andere Haltung zu dem Thema gegeben. Ich gucke jetzt mehr, wie ich behandelt werden will und wo meine Grenzen sind, aber auch, wo bei anderen Leuten die Grenzen sind und ob ich helfen kann. Außerdem trete ich auch gerne wieder auf.
Das war eine Zeit lang nicht so?
Nein. Ich habe mich gefragt, was ich auf einer Bühne soll, mit Texten, die vielleicht ganz lustig sind und ein bisschen nachdenklich, aber bei denen mir die Aussage fehlt. Das ist jetzt anders und ich traue mich mehr. Ich hatte Angst davor, dass mir das nicht abgenommen wird, sich darüber lustig gemacht wird, oder es niemanden interessiert. Das gab es teilweise, aber ein großer Teil ist anders verlaufen.
Was hat sich an Ihren Auftritten und Texten verändert?
Ich schaue jetzt, welche Themen nicht typisch weiblich konnotiert sind und schreibe dazu auch lustige und unpolitische Texte. Das ist aber schwierig, denn sobald ich aus dem weiblich Konnotierten rausgehe, bin ich ja wieder in dem männlich Konnotierten, weil diese Welt beschissenerweise so aufgeteilt ist. Trotzdem habe ich immer wieder versucht, Grenzen von denen ich dachte, sie wären gesetzt, zu durchbrechen. Das hat auch mit der Orientierung an männlich konnotierter Schreibweise zu tun oder einfach damit, mal auf der Bühne sehr laut zu sein.
Sind Ihnen Probleme mit Sexismus auch innerhalb der Poetry-Slam Szene aufgefallen?
In erster Linie habe ich es außerhalb des Poetry-Slams gesehen. Dann habe ich mir auch über Poetry-Slam und wie das dort läuft, Gedanken gemacht. Das ist schließlich kein gesellschaftlich abgekoppelter Raum. Dann sind mir auch dort Dinge aufgefallen und je mehr ich darüber nachgedacht und aufgeschrieben habe, desto mehr ist mir klar geworden, wie genau die gleichen Strukturen, die gesellschaftlich laufen, auch dort passieren. Es gibt überall reflektierte Leute und es gibt überall Leute, die es nicht schnallen und keine Lust haben, sich mit Diskriminierungsstrukturen auseinanderzusetzen – unabhängig davon, ob sie selbst betroffen sind oder nicht.
Warum gibt es so wenig Frauen im Poetry-Slam?
Das werde ich häufig gefragt. Lange Zeit habe ich immer darauf geantwortet, dass es nicht um diese Frage geht, weil alle ja irgendwie Poesie – oder was man darunter versteht – machen und darum sollte es doch gehen. Für mich habe ich das also ausgeklammert, mittlerweile antworte ich auf diese Frage anders: Es gibt Schwierigkeiten für Frauen im Poetry-Slam.
Welche sind das?
Machst du als Frau Lyrik, wird es Mädchenlyrik genannt. Für mich impliziert allein die Benennung eine Abwertung, weil es keine Jungslyrik ist, wenn ein Typ Lyrik macht. Außerdem finde ich es unangenehm, wenn ich die einzige Frau im Line-up bin. Oder sexistische Beleidigungen in anderen Texten vorkommen und ich muss mir das anhören, weil ich dabei auf der Bühne sitze. Es gibt auch Probleme bei den Ankündigungen der Moderatoren. Sie betonen, dass man die einzige Frau am Abend ist, oder dass man so schön aussieht oder so ein süßes Kleid anhat. Bei Männern wird aber nicht gesagt: „Oh, er hat aber heute ein niedliches Hemd an.“ Genau so beziehen sich die Moderatoren manchmal auf den Körper und sagen: „Oh, du hast zugenommen.“ Das sind alles vermeintliche Kleinigkeiten, aber je mehr sie sich häufen, desto anstrengender empfinde ich das Ganze.
Warum treten Sie trotzdem noch auf?
Es ist ja nicht alles komplett scheiße. Das ist mir wichtig zu sagen. Ich mag die Poetry-Slam-Szene und lerne dort viele nette Leute kennen. Aber es gibt durchaus Momente, in denen ich überlege, wie lang und unter welchen Voraussetzungen ich das noch machen kann. Deshalb gucke ich jetzt danach, wo ich hinfahre und wer noch da ist. Das kann ich mir mittlerweile aussuchen; bei Leuten, die damit gerade anfangen, ist das anders.
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