: Die Kirche als Aquarium
KUNST Beim Dämmern kommen die Delfine: Diana Thaters Videoinstallation verwandelt St. Stephani, sobald das Tageslicht vergeht, in ein Refugium für Meeressäuger
Von Henning Bleyl
Eigentlich ist es ja ein wenig geschmacklos, freiheitsliebende Meeresbewohner ausgerechnet in einer Fischerkirche umher schwimmen zu lassen. Aber da St. Stephani so herrlich ausgeräumt ist, über so viel weiße Wand und freie Bodenflächen verfügt, können sich Diana Thaters Delfine hier tatsächlich ziemlich ungehemmt tummeln. Sich um Vierungssäulen winden und an Kreuzgratgewölben schubbern, mit der Schwanzflosse über den Altar wischen und das Korallenriff im Seitenschiff beschnuppern.
Die mit vier Projektoren arbeitende Videoinstallation der kalifornischen Künstlerin macht aus der Kulturkirche ein Aquarium. Ab und an schwimmt sie selbst durchs Bild, auch Richard O‘Barry ist zu sehen, mit dem sie die Tiere in der Karibik filmte. Es handelt sich, wohlgemerkt, um frei lebende Delfine – schließlich ist O‘Barry, seit er sich von seiner eigenen Mitwirkung an „Flipper“ deutlich distanziert hat, ein Anwalt für die Freiheit der Meeressäuger.
Was da jetzt überlebensgroß durch St. Stephani gleitet hat jedenfalls nicht das edel-monochrome Aussehen von Flipper & Co, zoologisch Delphinus delphis, eher erinnern die großen, unregelmäßig gescheckten Leiber an eine Art Pippi Langstrumpf-Variante. Vielleicht handelt es sich um einen Schwarm der tief gründelnden Breitschnabeldelfine.
Kunsttheoretisch ist die Einordnung einfacher: Die Kunsthalle, der das 1999/2000 entstandene Environment gehört, sieht „Delphine“ als wohl „wichtigstes Werk“ Thaters. Die vier Bänder mit 15 Minuten Laufzeit, montiert als sich nicht überlappende Endlosschleifen, stellt nach Thaters eigener Auskunft ein „Modell“ dar, „um das Flüssige zu denken“. Etwas konkreter: Der stete Perspektivwechsel der Aufnahmen, die das Gleiten der Tiere in einen zusätzlichen Wirbel versetzt, vermitteln eine Illusion – oder Ahnung? – von Grenzenlosigkeit.
Als Kontrapunkt ruht eine Sonne auf dem Kirchenboden: Neun Monitore, auf denen sich der Himmelskörper in kaum wahrnehmbaren Rückungen sehr geruhsam um sich selbst dreht. Wobei das eine ungeheure Beschleunigung seines natürlichen Tempos darstellt: Das Original im Universum braucht 25 bis 36 Tage, um sich einmal im Kreis zu drehen. Kleine Gasexplosionen auf der Oberfläche tragen das Ihre zur Dynamisierung des Gesamteindrucks bei.
Sowohl „Sonnenaufgang“ als auch das Auftauchen der Delfine lassen sich derzeit am besten gegen 16 Uhr beobachten. Wenn das Tageslicht in den Fenstern von St. Stephani schwindet – die ihrerseits mit wässrigen Motiven wie Arche Noah und Teilung des Roten Meers aufwarten –, gewinnen die Projektionen zunehmend an Kraft: ein gleitender Übergang in farbige Schwerelosigkeit. Wenn dann noch jemand Orgel übt, sind der Synästhesie Tor und Ohr geöffnet.
Dienstags bis Sonntags 16 - 18 Uhr. Zwischen 17. und 28. 12. abgebaut, anschließend bis 17. Januar. 2. 1.: Familienworkshop „Schwimmen in farbigem Licht“. Anmeldung: ☎ (0421) 32 908 380
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen