: Hart, härter, am schönsten
WIMBLEDON Der erfahrene Thomas Haas und der 18-jährige Alexander Zverev überzeugen mit erstaunlichen Auftritten. Dem Neuling verheißen Experten eine große Zukunft
AUS LONDON Jörg Allmeroth
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen über dem All England Lawn Tennis Club, als die dramatische Spätschicht auf Court 4 mit einem Kniefall ins Glück endete. Es war 20.52 Uhr an diesem Montagabend, es war der größte Moment in der jungen Karriere von Alexander Zverev. Und es war ein Moment, an den man sich möglicherweise immer wieder erinnern wird – als Ausgangspunkt von etwas Großem, als Startschuss einer besonderen Liebes- und Erfolgsbeziehung zu diesem außergewöhnlichen Grand-Slam-Schauplatz.
So ein Wimbledon-Debüt wie das von Zverev, dem gerade 18-jährigen Hamburger, hat man jedenfalls lange nicht gesehen. Den Auftritt eines Neulings, der die Tennisfreunde aus aller Welt über fast vier Stunden in Erstaunen und Aufregung versetzte, bei einem 6:3, 1:6, 6:3, 3:6, 9:7-Sieg gegen den Russen Teimuraz Gabaschwili. „Wimbledon, der Rasen – das ist etwas, was mir in Zukunft noch sehr gefallen wird“, sagte Zverev später grinsend. Doch selbst im Hier und Jetzt der Offenen Englischen Meisterschaften 2015 konnte sich keiner sicher sein über Zverev – und vor Zverev, dem Riesentalent, auch nicht Denis Kudla (USA), der Zweitrundengegner. „Zverev hat das Potenzial zum großen Wimbledon-Mann“, sagte Fachmann John McEnroe, „der Rasen ist ideal für sein mächtiges Spiel.“
Inmitten deutscher Männertennis-Tristesse fielen so an Tag eins der „Championships“ zwei Hamburger aus zwei Generationen auf: Zverev, der Mann der Zukunft, und Tommy Haas, der Veteran der Tour, von Verletzungen und Pech gebeutelt. Aber mit seinen 37 Jahren noch gut genug, um besondere Erfolge zu feiern. Mit seinem Erstrundensieg gegen den Serben Dusan Lajovic trug sich Haas als ältester Gewinner in Wimbledon seit Jimmy Connors 1991 ein. „Es war ein Supertag für mich, ein wunderbares Gefühl“, sagte Haas, der als junger Kerl Wimbledon verfluchte.
Gras sei etwas „für Kühe“, hatte Haas einst gesagt, als er sich wie ein Halbstarker in Wimbledon gerierte. Das war 1997, also in jenen fernen Jahren, in denen Alexander Zverev, sein Nachnachfolger, noch als Baby in den Windeln lag. „Um in Wimbledon erfolgreich zu sein, musst du es lieben“, weiß Haas heute, eine Erkenntnis, die ihn auch zu späten Erfolgen trug, allem voran zum Halbfinaleinzug 2009. Solche zeitaufwändigen Umwege wird Zverev, der halb so alte Profikollege, nicht gehen müssen. Er hat auf Anhieb seine Zuneigung zu Wimbledon entdeckt, er spürt ganz instinktiv, dass es einmal die Bühne für einen großen Coup sein könnte. „Wimbledon ist großartig, ganz anders als alle anderen Turniere“, sagt Zverev, „es ist Faszination pur. Das Beste überhaupt.“
Wird er einmal der Beste sein? Das muss nicht sein. Aber es kann sein. Was Rafael Nadal kürzlich beim Stuttgarter Mercedes Cup über Zverev sagte, nämlich, dass der ein Grand-Slam-Champion der Zukunft sei, sagte er nicht beliebig daher, so ein Typ ist der Spanier nicht. In den letzten Wochen erlebte man eine durchaus auffällige Wandlung des Teenagers, der zwar nicht seine Leidenschaft, aber doch seine Hitzköpfigkeit abgelegt hat.
Seine Energie fließt ganz in das eigentliche Duell ein, in den Zweikampf da draußen auf dem Court – und den nimmt er inzwischen wie ein stiller Genießer auf. „Je härter es wird, umso schöner“, sagte Zverev nach der Abendvorstellung auf Court 4, dem 9:7 im fünften Satz gegen den French Open-Achtelfinalisten Gabaschwilli. Durch alle Höhen und Tiefen hatte sich Zverev durchgekämpft, im vierten Satz musste er sich sogar einmal übergeben, weil er sich in einen Krafttrunk versehentlich eine Salzlösung hineingemischt hatte. „Er hat einen großen, großen Schritt nach vorne gemacht. Und er ist schon so unheimlich zäh geworden“, sagt sein Bruder Mischa, der auch als Trainer aushilft.
Die Tennisgötter hätten ihm in seinem ersten Spiel eine echte Aufgabe stellen wollen, sagte Zverev am Montagabend. Es war ein bemerkenswerter Satz nach einem bemerkenswerten Match.
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