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„Wachstum ist ein Minderheitenthema“

Fortschritt III Wirklich innovative Unternehmen haben dem Drang zur permanenten Expansion abgeschworen, sagt die Berliner Wirtschaftsforscherin Jana Gebauer

Jana Gebauer Foto: privat

Interview Hannes Koch

taz: Frau Gebauer, die deutsche Gesellschaft ist ziviler, offener, antiautoritärer und umweltbewusster geworden – ein Erfolg der neuen sozialen Bewegungen seit den 1960er Jahren. Ist dieser Fortschritt auch in der Wirtschaft angekommen?

Jana Gebauer: In sozialen Bewegungen finden oft konkrete Auseinandersetzungen mit der Wirtschaft statt. Das wirkt auch in die Zusammensetzung und Ausrichtung von Unternehmen hinein. Und es bringt alternative Formen des Lebens und Arbeitens hervor: in den 1970er Jahren etwa die Kollektivbetriebe, heute die Gemeinwohl-Ökonomie, Sozialunternehmen und immer wieder auch Genossenschaften.

Das vorherrschende Bild von UnternehmerInnen und ManagerInnen wird allerdings geprägt von Leuten wie VW-Chef Martin Winterkorn. Er will, dass Volkswagen die globale Nummer 1 wird, der größte und profitabelste Autokonzern der Welt. Die Zahl der produzierten Fahrzeuge soll ebenso steigen wie der Gewinn. Wie könnte sich eine Firma, die wirklich fortschrittlich ist, davon unterscheiden?

Nehmen wir als Beispiel ein mittelgroßes Unternehmen aus Baden-Württemberg, das ich gut kenne. Es produziert und repariert Möbel und Liegen aus Stahlrohr. Das Familienunternehmen in der Hand der dritten Generation beschäftigt heute wie zu Gründungszeiten rund 50 Beschäftigte. Und diese Größe will die Geschäftsführerin stabil halten, Expansion widerstrebt ihr – aus sozialen, ökologischen, aber auch betrieblichen Gründen. Sie setzt stattdessen auf eine Entwicklung, die sie als inneres Wachstum bezeichnet.

Kulturwissenschaftler Claus Leggewie sagte kürzlich im Interview an dieser Stelle, dass wirklicher Fortschritt heute nicht mehr identisch sein könne mit Wirtschaftswachstum und zusätzlicher Technik. Es gehe nur noch das, was die planetarischen Grenzen nicht sprenge. Findet sich dies in der Geschäftspolitik der Beispielbetriebs wieder?

Diese Firma hat sich vom herrschenden Modell des Wirtschaftswachstums abgewandt. Sie ist sehr erfolgreich in dem, was sie tut – aber sie misst dies daran, ob es gelingt, die Umweltbelastung und den Ressourcenverbrauch zu verringern, die Zufriedenheit der KundInnen und Beschäftigten zu mehren und das Unternehmen langfristig zu erhalten.

Jana Gebauer

ist Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin. Sie hat Betriebswirtschaft und Umweltmanagement studiert. Unter ihrer Leitung veröffentlichte das IÖW unlängst die Untersuchung „Wir sind so frei. Elf Unternehmen lösen sich vom Wachstumspfad“.

www.ioew.de/wir-sind-so-frei

Warum versuchen Firmen heute aus der Logik der Expansion auszusteigen?

Manche machen das wegen des sogenannten Jojoeffekts. Wenn die Nachfrage zunimmt, erhöhen die Unternehmen erst die Arbeitsintensität und verlängern die Arbeitszeit, dann stellen sie mehr Personal ein und investieren in zusätzliche Maschinen. Wenn die Nachfrage jedoch einbricht, müssen sie alles wieder runterfahren und bleiben oft auf Kreditlasten sitzen. Wachstumszwang und das ständige Auf und Ab bedeuten Stress und Unsicherheit. Im Interesse des Betriebserhalts und auch ihrer Beschäftigten wollen und können viele UnternehmerInnen das nicht mitmachen.

Gibt es weitere Ursachen, warum Unternehmen den alternativen Entwicklungspfad einschlagen?

Im unserem Beispiel: Als die Chefin in die Firma eintrat, brachte sie Ideen aus der Umweltbewegung mit. Sie war im Studium mit den Arbeiten des Club of ­Rome in Berührung gekommen. So hatte sich der Gedanke der Endlichkeit unseres Planeten bei ihr festgesetzt. Deshalb begann sie Umweltrisiken und den Einsatz von Rohstoffen zu verringern.

Firmen müssen steigende Kosten verkraften. Beispielsweise wird Energie teurer. Die Beschäftigten verlangen auch mal eine Lohnerhöhung. Woher nehmen Betriebe, die nicht wachsen, dieses zusätzliche Geld?

„Wachstumszwang und das ständige Auf und Ab bedeuten Stress und Unsicherheit“

Jana Gebauer

Die Firma ist ein Beispiel für eine steigende Zahl sogenannter Postwachstumsunternehmen. Deren Umsatz und Beschäftigtenzahl bleiben in etwa stabil, trotzdem fließt oft ein moderater Gewinn. Solche Betriebe reduzieren ihre Kosten, indem sie etwa den Rohstoff- und Energieverbrauch minimieren oder ihren Strom selbst erzeugen. Dadurch erwirtschaften sie den finanziellen Spielraum, den sie brauchen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Produktentwicklung zu betreiben.

Vermutlich handelt es sich bei nicht wachsenden Unter­nehmen eher um Exoten?

Das kann man so nicht sagen. In einer Umfrage unseres Instituts sagte von 700 befragten kleinen und mittleren Firmen ein Drittel, sie wollten ihre Größe halten und nicht wachsen. Unsere Studien zeigen insgesamt, dass Unternehmenswachstum ein Minderheitenthema ist. Eine wichtige Rolle spielt es meist nur für größere und international tätige Firmen, die die traditionelle Wirtschaftsforschung als Innovationsträger preist. Unseres Erachtens misst sich Innovation jedoch an den Herausforderungen der Zeit. Damit muss heute ein anderer Fortschrittsbegriff gelten als der wachstumsbasierte.

Mehr Fortschritt: Als erster Teil der Reihe erschien am 4. April ein Gespräch mit Kulturwissenschaftler Claus Leggewie, danach ein Gespräch mit der Philosophin Barbara Muraca. Weitere Interviews folgen.

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