piwik no script img

Die Verstoßenen

MÄNNERDOMÄNE Als Frauenteam standen sie in ihrem pfälzischen Klub immer hintan – bis sie mit dem 1. FFV Böhl-Iggelheim ihren eigenen Verein gründeten und weggingen

In der staubigen Diaspora: das Team des 1.FFV Böhl-Iggelheim Foto: Archiv

Aus Böhl-Iggelheim und Haßloch Thomas Leimert

Ein Mittwochabend auf dem Sportgelände des FV 1921 Haßloch in der tiefsten Pfalz. Gerade haben 15 junge Frauen mit dem Balltraining begonnen. Der Untergrund ist holprig – ein harter, staubiger Sandplatz. Die Kugel springt den Mädchen, von denen die meisten um die 18, 19 Jahre alt sind, immer wieder vom Fuß. Eigentlich keine idealen Bedingungen, um Fußball zu spielen. Doch das stört hier niemanden. Die Spielerinnen des 1. FFV Böhl-Iggelheim sind froh, dass sie in Haßloch Unterschlupf gefunden haben. Und nicht nur sie. Auch B-, C- und D-Juniorinnen des Frauenfußballklubs spielen und trainieren hier.

„Wir sind freundlich aufgenommen worden, wir können zu den gewünschten Zeiten trainieren, und wir haben zu allen einen guten Kontakt“, sagt Katharina Kloor. Kloor ist die Vereinsvorsitzende und Trainerin der 1. Mannschaft des FFV in Personalunion. Nicht nur die Fußballerinnen des FFV sind zufrieden. Auch die männlichen Gastgeber vom FV 1921 freuen sich über die neuen Teams. Helmut Freitag, Vorsitzender des Klubs, sagt: „Mit dem FFV gibt es keine Probleme. Im Gegenteil. Unser Wirtschaftsbetrieb profitiert von den Frauen und Mädchen.“ Pro Monat fließen 400 Euro vom FFV in die Kasse des Klubs, der ihnen Asyl gewährt. Dazu helfen die Mitglieder des FFV ihrem Gastgeber bei Festen wie dem Andechser Bierfest oder den Leisböhler Weintagen, einem renommierten Weinfest in Haßloch, bei der Bewirtung und im Verkauf. „Wir fühlen uns in Haßloch sehr wohl“, erklärt Kloor.

Der Zwist

Der Umzug der Spielerinnen nach Haßloch hat eine Vorgeschichte. Haßloch, im Dreieck Neustadt/Speyer/Ludwigshafen gelegen, ist zwar die direkte Nachbargemeinde von Böhl-Iggelheim, aber wie der Name des FFV verrät, kommt der Verein eigentlich aus der Doppelgemeinde. Und dort, genauer gesagt beim VfB Iggelheim, spielten die Frauen, als sie noch keinen eigenständigen Verein gegründet hatten. Aber die Grabenkämpfe in ihrem alten Verein eskalierten. Es gab Zwist zwischen den Männerteams und den Frauen. Die Reaktion der Iggelheimerinnen? Sie gründeten einen eigenen Klub – der nun in Haßloch einen Platz gefunden hat.

Zu „dünnhäutig“

Ausschlaggebend für die Trennung vom alten Verein war ein offener Affront auf einer Generalversammlung des VfB. Der VfB sei doch ein Verein, in dem traditionell Männerfußball gespielt werde, hieß es dort. Man solle überlegen, ob der Klub ohne die Frauen und Mädchen nicht Geld sparen könne. „Als diese Sprüche kamen, hat es Applaus gegeben“, erklärt Kloor, damals Abteilungsleiterin Frauenfußball. „Und der Vorstand hat weder eine Reaktion gezeigt, noch ist er eingeschritten.“ Spricht man VfB-Vereinschef Edgar Hoffmann heute darauf an, sagt er: „Ich finde die Aussage nicht glücklich, aber das sollte man nicht zu hoch hängen.“ Seine Empfehlung: Die Frauen sollten doch „nicht so dünnhäutig sein“.

Frauentrainerin Kloor sieht ihre Abteilung rückblickend als lästiges Anhängsel des Klubs: „Für uns war es kaum möglich, Akzeptanz zu bekommen. Bei Spielen oder Hallenturnieren war nie jemand vom Vorstand zu sehen. Und als unsere C-Jugend Meister wurde, hat keiner gratuliert“, sagt sie. Die Stürmerinnen Rike Werle und Rebecca Radoy erklärten seinerzeit in einem Fernsehinterview: „Wir sind auf eine Wand der Ablehnung gestoßen.“

Die Anschläge

Deutschland:Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Waren es 2013 noch 58 registrierte Straftaten, meldet das BKA für vergangenes Jahr 150 und für das erste Quartal 2015 schon 71. In Tröglitz (Sachsen-Anhalt) wurde zum Beispiel im April eine zukünftige Flüchtlingsunterkunft in Brand gesteckt. Auch in Limburgerhof (Rheinland-Pfalz), Zossen (Brandenburg) und Escheburg (Schleswig-Hosltein) brannten dieses Jahr Wohngebäude, in die Flüchtlinge ziehen sollten.

Hoyerswerda: Seit 2014 gab es allein in Hoyerswerda sechs Angriffe auf Asylbewerberheime, der letzte im Juni dieses Jahres: eingeschlagene Fensterscheiben, verprügelte Bewohner, rechte Schmierereien und ein versuchter Brandanschlag.

Ein weiteres Beispiel: Den Kleinbus, den der VfB von der Dietmar-Hopp-Stiftung erhalten habe, hätten die Mädchen und Frauen am Ende nicht mehr nutzen dürfen. Eigentlich habe man den Frauenfußball beim VfB etablieren wollen – aber sie hätten sich unerwünscht gefühlt. Also gründeten Kloor und Jugendleiter Klaus Buchert den 1. FFV Böhl-Iggelheim.

VfB-Vorstand Hoffmann kann den Schritt nicht nachvollziehen. „Die Frauen sind ohne Not weggegangen. Sie hatten bei uns paradiesische Verhältnisse. Sie konnten auf Rasen spielen und unter Flutlicht trainieren, waren aber immer ein Verein im Verein, der sich mit dem VfB nicht identifiziert hat“, betont der Vorsitzende. Er sagt aber auch, dass er nicht unglücklich sei über die Entwicklung: „Die Mitgliedsbeiträge der Frauenabteilung haben nicht die Ausgaben gedeckt.“ Es spielten auch Kleinigkeiten eine Rolle. So warf Hoffmann den Frauen vor, ihre Weihnachtsfeier nicht im Klubhaus abgehalten zu haben, worauf Kloor entgegnete, es habe gar keine Feier für ihr Team gegeben.

Insgesamt haben rund 65 aktive Spielerinnen nach den Unstimmigkeiten den etwa 520 Mitglieder starken VfB verlassen und sich dem FFV Böhl-Iggelheim angeschlossen, der schnell ein erstes Team und drei Juniorenteams gemeldet hat. Das derzeitige Trainingsgelände ist nur eine Zwischenlösung. Es laufen Verhandlungen mit der Kommune und anderen Vereinen, ob man in Iggelheim einen Platz nutzen kann. Nachdem man mit den Spielerinnen den kompletten Neustart gewagt hat, will man wieder in der eigenen Gemeinde kicken. So lange aber ist man froh, in Haßloch Asyl zu genießen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen