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Berichterstattung über GriechenlandTsipras und die „Rote Betty“

Einige Medien meinen erkannt zu haben, warum Tsipras sich der EU nicht beugen will. Sie greifen zum Klischee aller Erklärungen: Die Frau ist schuld.

Alles fest im Blick: Betty Baziana (3.v.r.) bei der Vereidigung der neuen Abgeordneten im Januar 2015. Foto: dpa

Sie kuschelt sich eng an ihn, streicht ihm zärtlich durchs dichte, schwarze Haar und raunt ihm ins Ohr: „Lexi, ich liebe dich, das weißt du. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Du musst dich entscheiden: entweder die Angela oder ich.“

Alexis Tspiras starrt an die Decke des gemeinsamen Schlafzimmers. Er atmet tief ein und noch tiefer aus. Er ist in der Bredouille: Auf der einen Seite zerren Bundeskanzlerin Angela Merkel und all die anderen wichtigen Menschen aus der Eurozone an ihm – und sie verlangen viel.

Er soll Griechenland retten, dessen Ministerpräsident er ist. Er soll Schulden abbauen und sein Land trotzdem nach vorn bringen. Harte Sache.

Auf der anderen Seite droht Betty, seine Frau, mit Trennung, wenn er dem Druck aus dem Norden nachgibt.

Kämpferin für Volk und Vaterland

Betty ist eine Linke, durch und durch. Das weiß Tsipras, seit er sie kennt. Bettys Devise: Dem Volk soll es gut gehen. Aber wenn sich der Norden durchsetzt, wird es noch mehr Arbeitslosigkeit im Land des Retsina und des Sirtaki geben. Hunger. Armut. Obdachlosigkeit. Das muss sie auf jeden Fall verhindern. Und wenn es nicht anders geht, eben mit Sexentzug.

Betty Baziana, die moderne Lysistrata? Eine Kämpferin für Volk und Vaterland, für die gute Sache – so wie in der gleichnamigen Komödie von Aristophanes? Eine Frau für 11 Millionen Griechen und gegen den Rest Europas?

So jedenfalls klingt es, was manches Medium gerade über Tsipras’ Frau, eine Elektro- und Computeringenieurin, herausgefunden haben will. Betty Baziana, die radikale Linke, die „rote Hexe“, wie sie schon genannt wird. Aber auch: die große Manipulatorin, das Weib, das den Gatten dirigiert, ihn lenkt. Ihn voll im Griff hat.

Dieses Bild greift gleich zwei Mal tief in die Klischeekiste: Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau. Er brilliert in der bösen, kalten Welt, weil sie zu Hause alles zusammenhält. Sie bügelt seine Hemden, sie schichtet die Moussaka.

Der Fischer und seine Frau

Sie denkt für ihn und legt ihm die schlauen Sätze, die er später in die Fernsehkameras spricht, in den Mund. Sie weiß, was gut ist für Griechenland und was gut ist für ihn. Sie soll ihn erst zu dem gemacht haben, der er heute ist.

Aber das reicht nicht. Der Mann, den die Frau betüttelt, den sie lenkt und leitet, der muss mehr bringen. Er muss alles bringen. Er muss der Kommunist sein, der in den Stiefeln stirbt. Das klingt ein wenig nach dem Märchen vom Fischer und seiner Frau: erst ein kleines Haus, dann ein größeres, und dann ein Schloss – weil sie so gierig ist und immer noch mehr will.

Unabhängig davon, dass das bekanntermaßen nicht gut ausgeht und der Fischer und seine Frau am Ende mit leeren Händen dastehen, wird der Einfluss von Betty Baziana auf ihren Mann Alexis Tsipras möglicherweise überschätzt. Gleichzeitig spricht man ihm, indem man sie erhöht, Eigenverantwortung und politisches Gespür ab.

Klatschtante Hollande

Man kann Tsipras kritisieren für das, was er tut. Ihn aber als willenloses Wesen, das am Gängelband seiner Frau hängt, zubeschreiben, wird ihm nicht gerecht.

Tsipras soll laut Le Canard Enchainé selbst gesagt haben, dass er nicht nur seine Partei, sondern auch seine Frau verlieren werde, wenn er den Forderungen der Troika zu sehr nachgebe. Zumindest behauptet das Präsident François Hollande, dem Alexis Tsipras das so gesteckt haben will und der das genüsslich preisgab.

Vielleicht kann Hollande tatsächlich nicht verstehen, wie man sich als Politiker gegen Rentenkürzungen stellen kann. Vielleicht ist Hollande aber auch nur sauer, weil sein „Frauenproblem“ mit der handelsüblichen Geliebten so schlicht daherkommt. Eine Frau, die Sex an linke Politik knüpft, ist da eine andere Nummer. Mehr Drama, Baby!

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3 Kommentare

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  • Der Artikel in der WELT, auf den dieser Kommentar abzielt, beweist lediglich, dass es für manche Journaille, insbesondere die Springerpresse unter der untersten Schublade immer noch eine weitere gibt.

  • Da scheint ja ein paar angeblich richtig mächtigen Leuten, wie man so schön sagt, der Arsch ganz schön auf Grundeis zu gehen. Dass sie ihre Ziele jetzt mit eben jenem Klatsch und Tratsch erreichen wollen, den sie ansonsten als würdelos verabscheuen, sieht ein ganz klein wenig nach "Endsieg" aus, finde ich.