: Als wir noch Zigaretten verkauften
AUFSTIEG „Quyên – Farewell, Berlin Wall“ ist ein Großereignis für die vietnamesische Filmindustrie. Premiere war allerdings in Berlin – denn die 80er-Jahre-Dreiecksgeschichte setzt die deutsche Hauptstadt aus der Perspektive vietnamesischer Migranten ins Bild
Von Matthias Dell
Dienstag vor einer Woche, Berliner Kino International: Es herrscht fast familiäres Miteinander zwischen lässiger Jugend, herausgeputzten Ladys, geschäftigen Älteren.
Eine geschlossene Veranstaltung, die Premiere des vietnamesischen Films „Quyên“, dessen Titel für den internationalen Markt „Farewell, Berlin Wall“ heißt, auch wenn es fürs Erste nur einen vietnamesischen Kinostart gibt.
Gedreht wurde im vergangenen Herbst für ein paar Tage auch in Deutschland, die Uraufführung des Films muss man sich deshalb weniger als PR-gepimptes Medienereignis vorstellen denn als ziemlich extensive Team- und Unterstützerpremiere.
600 Leute sitzen im Saal – und die ohne vietnamesischen Hintergrund lassen sich an einer Hand abzählen. Die einzige Fernsehkamera gehört zum Korrespondenten der Vietnam News Agency.
Eine Million Dollar
Die Verantwortlichen erfüllt der Abend mit Stolz: „Quyên“ ist mit über einer Million US-Dollar Budget einer der teuersten Filme, die je in Vietnam gedreht wurden, und es ist der erste, der seine Premiere im Ausland feiert. Die Geschichte stammt aus einem gleichnamigen Roman, und sie ist durch den ehemaligen Generalkonsul in Frankfurt an den Regisseur Nguyen Phan Quang Binh vermittelt worden.
Denn die Geschichte spielt in Deutschland, Nguyen lebt in Vietnam. Für ihn soll sein dritter Film ein Bindemittel sein zwischen der vietnamesischen Community hier und den Leuten in Vietnam. Weil er von Dingen erzählt, über die wenig geredet wird, den Härten der Migration etwa. Formal ist „Quyên“ eine wenig avancierte Dreiecksgeschichte: schöne Titelfrau (Vu Ngoc Anh) zwischen Draufgänger (Tran Bao Son) und Studiertem (David Tran). Originell ist dagegen die zeithistorische Kulisse, in der sich das Leiden am Lieben ereignet.
Der Film setzt ein in den achtziger Jahren, bei einer Gruppe von Flüchtenden, die aus der Sowjetunion über die Tschechoslowakei Richtung Westdeutschland ziehen soll. Dieser Weg führt im Film ausführlich durch die Alpen, was ein schönes Beispiel dafür ist, wie das Kino sich Bilder abzwackt von so einer Vorstellung wie Realismus: Der Schnee und die Berge sind, wie in anderen asiatischen Kinematografien, Sehnsuchtsorte; das Haus, in dem die von ihrem Mann, dem Studierten, getrennte Quyên festgehalten wird vom Draufgänger (gelernter Geologe, aktuell Schleuser), ist aufs Liebevollste eingezuckert mit Kunstschnee.
In der deutschen Realität, in der zuerst Quyêns Mann landet, sieht es dann nicht so hübsch aus. Bayern zwar, aber tristes Asylbewerberheim (über dem Gemeinschaftstelefon ein Zettel, auf dem steht handgeschrieben: „Asyl-Telefonapparat“).
Der Studierte muss als Tellerwäscher arbeiten unter Leuten, mit denen er zu Hause, in einer anderen gesellschaftlichen Ordnung, kein Wort wechseln würde, weshalb er einmal laut überlegt: „Lieber die Zähne zusammenbeißen und für die Japaner oder Chinesen arbeiten als für die verlogenen Vietnamesen.“
Der Draufgänger versucht derweil die Titelfrau, die er mit Gewalt in der Hütte festhält, vor den falschen Lockungen des Westens zu warnen: Wenn man zum ersten Mal da ist, freue man sich; wenn man länger dort lebe, merke man, dass andere Dinge wichtiger seien als das Materielle.
Für die Hingabe ins romantische Zweierlei ist das Argument vielleicht etwas zu nüchtern, außerdem ist’s im Film noch zu früh, die Frau will noch immer zu ihrem studierten Mann. Also landen schließlich auch Quyên und der Draufgänger in Bayern.
Die Ausländerbehörde
Der schöne Effekt aus einer herkunftsdeutschen Perspektive: In „Quyên“ steht das im Mittelpunkt, was in deutschen Filmen marginalisiert ist. Zwischen Action, Gewalt, Sex und begleitet von einer zu jeder melodramatischen Steigerung bereiten Musik, brechen immer wieder die Verzweiflung und Verlorenheit der migrantischen Erfahrung ein (auch wenn der steife Kollege von der Ausländerbehörde hier für seine relativ freundlichen Ansagen bei Quyên vorbeikommt wie ein Postbote).
Der vietnamesische Zigarettenverkäufer – die Szenen wurden mit Gespür für historische Zusammenhänge am Berliner S-Bahnhof Storkower Straße in Lichtenberg gedreht, wo heute der größte Teil der vietnamesischen Community der Hauptstadt lebt – ist hier eine Durchgangsfigur auf dem Weg zu einer bürgerlichen Existenz, wie bezeichnenderweise beide Männer, die um Quyên buhlen, in den neunziger Jahren Karriere in der organisierten Kriminalität machen.
Das Tollste an Szenen wie der mit den Zigarettenverkäufern aber ist – die Zuschauer im Saal lachen. Auch über den Witz, den der Film macht (ein junger Verticker denkt, bei dem Gruß „Morgen“ eines Passanten handele es sich um den Namen einer gewünschten Zigarettenmarke), aber vor allem über das alte, so fern wirkende Bild vom Selbst. Das sei altmodisch, tuscheln Leute in den Reihen fast verächtlich, und wen man danach auch fragt, immer lautet die Antwort, dass Vietnam schnell vergessen habe. Nicht nur den Krieg gegen den Amerikaner, dessen Verarbeitung in Hollywood immer noch Filme produziert, sondern auch die Mühsal der Migration.
Man kann den Leuten Verdrängung vorhalten, aber auf eine Weise ist das auch beeindruckend: Am Tag, als der Stasiunterlagenbeauftragte in Deutschland für die Wiedereinführung des 17. Juni als Feiertag plädiert, sitzt die vietnamesische Community im Kino International und amüsiert sich über die eigene Not der frühen Jahre.
Eine junge Frau, die noch in Vietnam geboren wurde, aber hier aufgewachsen ist, sagt nach dem Film, sie spüre, wie der Zweite Weltkrieg die Leute hier siebzig Jahre nach seinem Ende weiterhin beschäftige. In Vietnam wäre das anders, und da sind die Kriege nicht so lange her. Den größten Lacher erzeugt die falsch ausgestellte Sterbeurkunde als Erinnerung an die bürokratischen Tricks, mit denen sich vietnamesische Paare in die deutsche Gesellschaft integrierten.
Und zu den Highlights von „Quyên“ gehört der Mauerfall. Schon weil er mittendrin und eher en passant geschieht – die Titelfrau nähert sich von Westen her und sucht ein Krankenhaus, ihr Kind wird in dieser Nacht geboren, das reicht als Reminiszenz ans Pathos. Inszeniert hat Regisseur Nguyen die Szene in Vietnam, mit Touristen als jubelnde Statisten, was womöglich die konsequenteste Besetzung ist (Reisefreiheit!), das Brandenburger Tor im Hintergrund verdankt sich digitaler Bildbearbeitung.
Der gute Deutsche
Am Freitag ist „Quyên“ in den vietnamesischen Kinos angelaufen. Das Kino in Vietnam boomt, nachdem es lange Jahre quasi inexistent war. Das Box Office habe sich zwischen 2008 (3 Millionen US-Dollar) und 2014 (knapp 100 Millionen) vervielfacht, sagt Ngo Thi Bich Hanh, die Produzentin von „Quyên“. Nun hofft sie, dass ihr Film ein Erfolg wird. Für Verbreitung ist gesorgt: Auf 65 der gut 100 Leinwänden konkurriert der Film nun mit koreanischen Kriminalfilmen und amerikanischer Erfolgs-Science-Fiction wie „Jurassic World“.
Einen guten Deutschen gibt es „Quyên“ übrigens auch. Er heißt Hans und war in Vietnam tätig als „Waldforscher“, wie die Untertitel übersetzen, weshalb er problemlos mit den Hauptfiguren kommunizieren kann. Hans hört viel zu und bietet sich höflich als Kandidat für eine Scheinehe an (was die Titelfrau dankend ablehnt). Gespielt wird er vom Briten Gary Daniels, einem C-Star aus Hollywood (“The Expendables“), der in Vietnam eine große Nummer ist.
Das sind dann so globale Parallelweltwahrnehmungen: Der „Westen“ guckt im vietnamesischen Kino aus dem ziemlich ausdruckslosen Gesicht eines früheren britischen Kickboxers.
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