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Kinder-Erwachsenen-GeschichteLernen von der Dicken

Im Drama "Ich bin eine Insel" erkämpft sich eine Zehnjährige die Freundschaft einer Erwachsenen

"Ich bin eine Insel": Tülin Karaca und Ulrike Folkerts Bild: dpa

Die Erwachsenen haben sich ihre Welt fein eingerichtet: Ihr TV-Programm ist so gut wie kinderfrei. Tauchen Gören doch einmal auf, dann, weil sie die Pest sind. Zu dick und obendrein noch schwer zu erziehen. Hilfe bringt dann ein Oberdisziplinator oder die Speckmamsell, und alle sehen, der Nachwuchs ist handhabbar, man muss nur wissen, wie. Noch kinderloser ist das narrative Fernsehen. Dass eine Kinder-Erwachsenen-Geschichte spannend und bereichernd sein kann, beweist die Produktion des SWR, in der Ulrike Folkerts - gerade vom Bundespräsidenten für ihr ehrenamtliches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt - überrascht.

Rosa, zehn Jahre alt, von ihrer berufstätigen Mutter vernachlässigt und schlichtweg fett, setzt sich in den Kopf, die Kioskbesitzerin Thea (Ulrike Folkerts) müsse ihre Freundin werden. Doch Thea will keinen Kontakt. Nach dem Tod eines Schülers, für den sich die ehemalige Lehrerin verantwortlich fühlt, hat sie sich zurückgezogen. Sie hat den Ehemann gehen lassen, das gemeinsame Haus mit allen Habseligkeiten darin verlassen und lebt als Kioskbesitzerin in der Anonymität einer Wohnsiedlung. Die einzigen Lebewesen, die sie in ihrer Umgebung erträgt, sind ihre Pflanzen, hinter denen sich die 40-Jährige verbarrikadiert.

Rosa (Tülin Karaca) hingegen ist zäh wie ein Marshmellow, der sich unter die Schuhsohle setzt. Beharrlich klebt die Zehnjährige an der Seite von Thea, lässt sich von deren oft unfairer Art nicht kränken und gibt nicht auf, bis Thea widerwillig nachgibt. Hierbei Zeuge zu werden, ist mal unterhaltsam, mal anrührend, zum Schluss anstrengend, weil Thea Winkler etwas lang braucht, ihre Lektion zu lernen.

"Ulrike Folkerts wird unterschätzt", sagt Regisseur Gregor Schnitzler (u. a. "Die Wolke") und hat ihr Raum gegeben, ihre komödiantische Ader zu zeigen. Leider hat er nicht verhindert, dass manche Szenen überstrapaziert wirken. Dass die Handlung an manchen Punkten unschlüssig bleibt, erklärt sich, wenn man weiß, dass das Drehbuch von Silke Zertz umgeschrieben wurde, weil der SWR für den gleichen Sendeplatz einen ähnlichen Plot in Arbeit hatte: In der ursprünglichen Fassung kam das gemeinsame Kind von Thea und ihrem Mann um. Das Zerbrechen der Ehe, das von eben auf jetzt verlassene Haus, Theas Weigerung, für einen anderen Menschen Verantwortung zu übernehmen, wären vor diesem Hintergrund schlüssiger gewesen.

Auf der anderen Seite verhindert dieser Eingriff eine überbordende Schwere des Films. So bleibt der Zuschauerblick frei für das Verhältnis und die Entwicklung der beiden Protagonisten - und ihren durchaus gelungenen, angstfreien Umgang mit den Problemen dicker Kinder.

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