House: Melodien für Minimale
House als Dauerbaustelle: Omar S, die neue Detroiter Dancefloor-Sensation, beehrt deutsche Clubs.
Wo bei anderen die Auslaufrille liegt, beginnt bei Omar S erst der Sound. "Meine Platten spielen von innen nach außen ab", sagt der Detroiter Technoproduzent, "denn letztendlich geht es gar nicht um die Verpackung. Wichtig ist, was direkt aus der Musik kommt." Auch sonst hält er sich nicht mit dem Naheliegenden auf und nennt schon mal den Ragtime-Pianisten Scott Joplin als Haupteinfluss.
Omar S macht alles selbst. Über seine eigene Homepage vertreibt er seine Schallplatten. "Zur Zeit ausverkauft, versuchs später noch mal", heißt es da. So ähnlich muss es in den Fünfzigern in den USA zugegangen sein, als der Familienvertrieb Chess Records seinen Bluesplattenvorrat aus dem Kofferraum eines Autos verkaufte. Cover gibt es bei Omar S keine, er bestempelt seine Weißmuster oder bekritzelt die Hüllen mit Filzschreiber. "Jit", "Night", oder "Motion" heißen die Titel und sie klingen genauso fragmentarisch wie die Musik selbst. Omar S ist das Gewese um die eigene Musik sowieso lästig. "Wenn der Track aufgenommen ist, ist er fertig, verstehst du?" Ob es House ist oder Techno oder doch eher maschinengetriebener Soul, will er auch nicht genau festlegen.
Auflegen wie morgen in München, wo eine kleine Tour durch deutsche Clubs beginnt, Musikproduzieren und Plattenveröffentlichen lassen ihm wenig Zeit. Nur am Wochenende leistet er sich ab und an den Luxus, dann fährt er Amateur-Autorennen gegen die DJ-Kollegen. "The Grandson of Detroit Techno" nennt sich Omar S durchaus selbstbewusst in einem aktuellen Track. Wenn es einen gibt, der die dritte Generation von Detroit Techno verkörpert, dann Omar S. Gelernt hat der Produzent, der eigentlich Alex O. Smith heißt, sein Handwerk, indem er populäre Technotracks nachspielte und als Bootleg veröffentlichte, so wie die Firma K-Tel in den Sechzigerjahren die Charthits der Stunde instrumental covern ließ und auf Billig-Compilations veröffentlichte. Omar S passt zum Image von "Motown"-Detroit als schmucklose Autometropole. Hart, aber herzlich, so wäre auch seine eigene Klangsignatur zu definieren. Als Hommage an den Sound der Plattenfirma Motown ist eines seiner schönsten Stücke um ein Sample der Supremes herum aufgebaut, angeshuffelt von einem Hochdruckbeat.
Die Beats spielen bei Omar S immer die Hauptrolle. Man kann sich ihnen in ihrer mal hinterhältig und verzinkt purzelnden, mal geradlinig stauchenden Art nicht entziehen. Dazu pumpt ein subsonischer Bass, "low-down", wie man in Detroit sagt, schwer und federnd wie ein Mehlsack auf einem Trampolin. Der Bass schaukelt die Melodien aus minimalistischen Keyboard-Arpeggios und kratzigen Signaltönen nach Hause. Das Klangbild ist nicht geglättet, und die einzelnen Segmente ragen hervor, stoppen mittendrin oder trudeln unendlich weiter.
Der Rohzustand dieser Musik entspricht der "unfinished newness". So bezeichnete der amerikanische Literaturwissenschaftler Phillip Fisher einmal die Stadtlandschaft der USA, die sich in einem Zustand der permanenten Umstrukturierung befindet. Auch Techno-House, wie ihn Omar S produziert, ist eine Dauerbaustelle. Seine Schönheit ist flüchtig. Omar S benutzt nicht mal einen Computer, um seine Drummaschinen und Synthesizer aufzuzeichnen. "Ich bin voll analog, Mann", gestand er einem Reporter des Fachmagazins de-bug. Er schwört auf ein altes Mehrkanalmischpult, auf dem er seine Tracks live einspielt und dazu mit Delay-Effekten und Filtern herumtrickst.
Mit Techno und House zogen in die Black Music Figuren ein, die nicht den komplizierten Überlegungen der Plattenindustrie unterlegt waren. Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre begründeten Juan Atkins und Derrick May den Kult um die schnelle und stromlinienförmige elektronische Tanzmusik aus Detroit. 1998 übernahmen Theo Parrish und Kenny Dixon Junior das Zepter. Als Reaktion auf den Boom von elektronischer Musik und seiner Popfähigkeit in Europa drosselten sie das Tempo und schlossen Techno und House wieder stärker mit der Geschichte der Black Music kurz. Omar S wurde so der Weg gewiesen. Stilistisch befindet er sich zwischen den beiden Schulen, aber er verfolgt die Entwicklung in Europa genau. Mit Respekt blickt er in die Alte Welt, mag die Musik von Kraftwerk und freut sich, im Land der Autobahnen Musik aufzulegen.
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