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OperetteRadikalkur

An der Komischen Oper Berlin inszeniert Peter Konwitschny Franz Lehárs Operette "Land des Lächelns". Das klingt, als würde Weill mit Geigen spielen.

Chinesischer Prinz und Wiener Adelstochter, fertig ist die Operette. Bild: dpa

Wenn Peter Konwitschny eine Operette inszeniert, ist es keine Überraschung, dass sich dann Herz und Schmalz ganz und gar nicht mehr reimen. Vor sieben Jahren trieb er es in Dresden mit Kálmáns "Csardasfürstin" so arg, dass der Intendant eingriff. Ein Tanz mit enthaupteten Weltkriegssoldaten schien auch ihm nicht zumutbar, danach mussten sich zwei Gerichte mit dem Fall befassen. Beide entschieden: Konwitschny darf so etwas tun.

Recht hatten die Richter, er muss sogar, und an der Komischen Oper in Berlin hat er nun wieder gezeigt, warum ihm ausgerechnet die Operette am Herzen liegt. Er liest die besten Werke dieses Genres als Lehrstücke von geradezu Brechtschem Ausmaß. Auch das ist im Grunde keine Überraschung, wenn man an Konwitschnys Wurzeln in der Schule von Ruth Berghaus denkt, überraschend ist vielmehr, wie gut diese Radikalkur einem Komponisten wie Franz Lehár bekommt.

Ein Meister des Schlagers ganz zweifellos. "Dein ist mein ganzes Herz" und "Immer nur Lächeln" wären auch heute noch heiße Favoriten im "European Song Contest". Aber auch Kurt Weill war ja alles in allem nicht viel mehr als ein genialer Erfinder von Schlagermelodien, und bei Konwitschny klingt nun Lehár ganz so, als habe Weill bloß mal den Jazz vergessen und sich lieber mit Geigen, Walzern und pseudochinesischem Geklimper auf den schwarzen Tasten seines Klaviers vergnügt. Die Funktion dieser wohlkalkulierten Banalität ist dieselbe. Sie ist das letzte, verzweifelt gegen die Forderungen der Realität festgehaltene Rückzugsgebiet des Gefühls. Damit ist sie wahr und falsch zugleich, denn für diese Welt ist der Mensch nun mal nicht schlecht genug.

Kirill Petrenko, der langjährige, nun aber aus seinem Amt scheidende Chefdirigent der Komischen Oper, dirigiert diesen verwandelten Lehár mit der dafür nötigen, vollkommen unsentimentalen Härte. Manchmal etwas zu laut für die Sänger, aber immerhin hört man plötzlich, wie teuflisch gut dieser offenbar unterschätzte Musiker instrumentieren konnte. Alles klingt mal schrecklich schön, mal flott, mal lustig - zugleich aber wie eine bösartige Satire gegen die militärisch verrohte und verblödete Herrengesellschaft gesetzt, die damit einst unterhalten werden wollte - das Stück ist 1929 in Berlin uraufgeführt worden.

Als bloße Unterhaltung dieser Art ist diese Operette natürlich längst mausetot, aber sie überlebt als Seismogramm ihres Publikums. Lisa, eine fesche Wiener Adelstochter (Tatjana Gazdik), verliebt sich in den Prinzen Sou-Chong, den Gesandten Chinas in Österreich (Stefan Rügamer), der umgehend in seine Heimat abberufen wird, um dort die Staatsregierung zu übernehmen. Sie geht mit ihm in das als "exotisch" umschwärmte Land und schlägt dort ungebremst auf dem Boden der Machtausübung auf. Nicht nur der chinesischen, sagt Konwitschny, sondern jeder Macht und zu jeder Zeit.

Sein Bühnenbildner Jörg Koßdorff hat ihm ein drehbares, kreisrundes Gefängnis gebaut, das im Innern den Wiener Prunkpalast des ersten Aktes enthält, nach außen jedoch die mit Sichtblenden verschließbaren Zellen zeigt, in die alle eingesperrt sind, auch die Liebenden, die es selbstverständlich ja so gut meinten miteinander.

Aber die Gröfaze dieser Welt haben Wichtigeres zu tun. Zur Amtseinführung des Prinzen treten sie alle auf, vom Höhlenbewohner über Cäsar, Hitler und Stalin bis zu Roosevelt, der zur Feier des Tages die Atombombe zündet. Davor haben sie sich alle mit ihren jeweils epochenspezifischen Waffen totgeschlagen, um begeistert zur nächsten Huldigungsrunde anzutreten, wohlgefällig betrachtet vom ewigen Mao Tse-tung, der bei Lehár "Tschang" hieß und der Onkel des Prinzen war. Um bloße Familienhändel geht es jedoch nicht. Dass der Prinz vier Chinesinnen heiraten muss, ist universale Staatsräson, auch wenn sich das Lisa aus Wien anders gedacht hatte. Sie will nach Hause, aber "Frauen sind nur eine Sache", singt der Prinz, den der Widerspruch seines Gefühls und seiner Macht schon ein wenig schmerzt im Herzen. Tragisch ist der darum noch lange nicht, Lehár bewahre, zerschlagen jedoch ist Lisas Traumwelt, auch in Wien. Der Kreiskerker bricht auseinander, in seinem zerbombten Innenhof, der einst Wien war, sind die Frauen gepeitschte Pferdchen, die den Fiaker im Kreis herum ziehen müssen.

Konwitschny selbst verlässt an dieser Stelle die Schranken des Librettos. Frauen auf der Flucht setzen sich in den Kulissentrümmern auf ihre Koffer. Heulend und hohnlachend zugleich sprechen sie einen Text von Heiner Müller. "Herzstück" heißt er. Lehár hat keine Musik dafür geschrieben, aber sein Finale, in dem der Prinz noch einmal singen muss, wie es "da drinnen" aussehe, gehe "niemanden was an", klingt danach so, als sei doch genau das gemeint: "Ihr Herz ist ein Ziegelstein", sagt die eine Stimme, die andere antwortet: "Aber es schlägt nur für Sie". Tusch von Franz Lehár und man weiß wieder, dass Dialektik noch immer die beste Unterhaltung ist.

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