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DebatteUnaufhaltsame Eskalation

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Entweder Europa entscheidet sich in der Statusfrage für Serbien oder für die Unabhängigkeit des Kosovo. Eine Kompromisslösung ist nicht mehr möglich

N un soll es eine Troika richten: Auf Vorschlag des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier wird sich ein Gremium aus Vertretern von EU, USA und Russland bilden, um 120 Tage lang die nochmaligen Verhandlungen zwischen Serbien und den Kosovo-Albanern zu überwachen.

taz

Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent für Ex-Jugoslawien

Eine neue Idee war in der Tat nötig, um die bisherigen Fronten aufzubrechen. Schließlich hatte Russland wiederholt gedroht, das Vetorecht im Weltsicherheitsrat zu nutzen, um den Ahtisaari-Plan einer eingeschränkten Unabhängigkeit Kosovos zu Fall zu bringen. In den letzten Wochen bahnte sich sogar eine neue Ost-West-Konfrontation an. Denn die USA ermutigten die Führung des Kosovo, nach den 120 Tagen einseitig die Unabhängigkeit auszurufen. Die Regierung Bush forderte die EU auf, zusammen mit den USA am Weltsicherheitsrat vorbeizuentscheiden.

Am Weltsicherheitsrat vorbei wurde jedoch im Fall des Kosovos schon einmal entschieden: Im März 1999 griffen Nato-Truppen ohne UN-Mandat Serbien an. Das war vor allem in Europa höchst umstritten. Die rot-grüne Koalition in Deutschland wäre damals fast daran zerbrochen. Trotzdem entschied sie sich dafür, den Bombenkrieg gegen Serbien und Montenegro und den Einmarsch von Nato-Truppen ins Kosovo zu unterstützen.

Man zögerte nach dem Krieg aber, eine eindeutige Entscheidung über den Status des Kosovo zu treffen und vertagte das Problem. Als "Wiedergutmachung" für die Vereinten Nationen etablierten die Nato-Staaten eine UN-Mission in Prishtina. Kosovo ist seither ein UN-Protektorat mit ungewisser Zukunft.

Der Ahtisaari-Plan hat daran nur wenig geändert. Er zeugt vor allem von Unentschiedenheit und europäischer Zögerlichkeit. Denn die limitierte Unabhängigkeit unter der Aufsicht der EU kann langfristig keine Stabilität bringen. Sie würde der serbischen Minderheit im Kosovo weit mehr Rechte als anderen Minderheiten gewähren, was nicht unbedingt von der internationalen Rechtsprechung gedeckt ist. Zudem hätte sie der Regierung in Belgrad mehr Möglichkeiten gegeben, in die serbischen Gemeinden und damit in das Kosovo hineinzuregieren.

Trotzdem hat Serbien den Plan abgelehnt, da es nun nicht mehr nur den kleinen Finger will, sondern die ganze Hand. Dank der russischen Rückendeckung und der europäischen Zerrissenheit fühlt sich Serbien wieder stark. Seit Jahren habe die Führung auf diplomatischer Ebene im Hintergrund gewirkt, um das Kosovo für Serbien zu erhalten, erklärte Präsident Boris Tadic während seiner Parlamentsdebatte am Dienstag. Und Serbiens Parlament hat dementsprechend wieder einmal das Kosovo zum unverzichtbaren Teil Serbiens erklärt.

Auf der serbischen Seite formieren sich zudem im Untergrund Freiwillige - noch unabhängig von der Regierung oder sogar gegen deren Willen. Sie wollen für ein serbisches Kosovo mit Waffengewalt kämpfen.

Auf der albanischen Seite wiederum ist die Bevölkerung kaum mehr dazu bereit, den Schwebezustand noch länger hinzunehmen. Schon grummelt es an der Basis. Da der Ahtisaari-Plan die Rechte der Serben in einem durch die EU kontrollierten Kosovo festlegt, müsse es jetzt bei den Verhandlungen um die Rechte der albanischen Minderheit in Serbien gehen, erklärt die Bewegung "Selbstbestimmung". Die kosovo-albanische Führung könne die Menschen nicht auf ewig vertrösten.

Die Kosovo-Albaner spielen sogar weiter mit dem Gedanken, am 28. November, dem Nationalfeiertag der Albaner, einseitig die Unabhängigkeit auszurufen und damit einen über die Region hinaus weisenden Konflikt zu riskieren. Sollte der 28. November ohne Unabhängigkeitserklärung verstreichen, könnte die Stimmung im Kosovo ziemlich schnell umkippen. Nicht nur die Bewegung "Selbstbestimmung" will die Menschen mobilisieren, sondern, noch wichtiger, alte Strukturen der Befreiungsorganisation UÇK könnten jederzeit wieder mobilisiert werden.

In Europa zögern die Regierungen, den Amerikanern zu folgen und noch einmal am Weltsicherheitsrat vorbei zu handeln. Immerhin scheinen mit der Troika mehrere Probleme in einem Aufwasch erledigt zu werden. Russland akzeptiert Verhandlungen außerhalb des Weltsicherheitsrats, und Europa könnte mit einem einzigen Repräsentanten in der Troika endlich auch mal nur mit einer Stimme sprechen.

Nur: Das ist alles schön ausgedacht, doch letztlich folgenlos, weil der politische Wille zur Lösung der Kosovofrage in Europa fehlt. Im Kosovo ist nach allem, was in den letzten hundert Jahren seit der serbischen Okkupation des Landes 1912 geschehen ist, kein tragfähiger Kompromiss mehr möglich. Die historischen Belastungen lassen sich einfach nicht wegverhandeln.

Entweder man entscheidet in der Statusfrage also für Serbien oder für die Unabhängigkeit des Kosovo. Dazwischen gibt es keine Lösung. Die neue Verhandlungsrunde wird daran nichts ändern. Die Gespräche passen lediglich Belgrad und Moskau ins Konzept, denn Verhandlungen haben Putin und Koðtunica immer wieder gefordert. Ob 120 Tage oder länger, spielt da keine Rolle - sie wollen Zeit gewinnen und erst einmal alles beim Alten belassen. Die USA allerdings stehen im Wort, die Unabhängigkeit des Landes noch in diesem Jahr durchzusetzen. Das hat Präsident Bush bei seinem Besuch in Tirana im Juni den Albanern versprochen. Daran wird seine Politik dort gemessen werden. Zumal nur das amerikanische Versprechen in den letzten Wochen die Ruhe im Kosovo garantiert hat.

Die Positionen sind also betoniert. Nun liegt die Entscheidung bei den Europäern. Auch sie haben im Ahtisaari-Plan Kosovo die Unabhängigkeit versprochen, wenn auch nur eingeschränkt. Entschließen sie sich, die Amerikaner zu unterstützen, wäre der Konflikt mit Russland und Serbien programmiert.

Bliebe im Kosovo alles wie gehabt, riskierte Europa den Aufstand der Albaner gegen die UN-Mission im Kosovo. Schließlich würde es sein Versprechen gegenüber den Albanern auf eine von Europa garantierte und limitierte Unabhängigkeit brechen. Die Ereignisse vom März 2004, als KFOR und UN-Personal angegriffen wurden und sich in die Kasernen zurückziehen mussten, zeigen, wie schnell die Stimmung umschlagen kann. Schwieriger für Europa jedoch wäre: Es würde sich gegen die USA stellen. Und das ist bislang undenkbar.

Wie man die Dinge auch dreht und wendet - der Konflikt wird sich verschärfen. Die Lage im Kosovo kann leicht eskalieren und der Konflikt die gesamte Region erfassen. Darauf sollte sich die Öffentlichkeit vorbereiten. Denn in diesem Herbst und Winter wird nicht nur die Debatte über Afghanistan die Gemüter bewegen, sondern auch die über das Kosovo.

Europa steht zwischen Russland und den USA und muss sich entscheiden. Immerhin ab jetzt, dank Steinmeier, hoffentlich mit einer Stimme.

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Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
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