Debatte: Lehren aus Dayton
Die Kosovo-Troika droht mit ihrer Mission zu scheitern, denn sie geht - wie auch ihre Vorgänger - nicht konsequent gegen den ungebrochenen serbischen Nationalismus vor
D ie verzweifelte Such der Troika aus EU, Russland und den USA nach einer Lösung für die Kosovofrage ist verständlich. Doch haben die wiederaufgenommenen Verhandlungen über den Status des umstrittenen Gebiets keine große Aussicht auf Erfolg. Eher droht ein fauler Kompromiss, weil die Gruppe mit dem Dayton-erfahrenen Botschafter Wolfgang Ischinger nicht gelernt hat, wohin Zugeständnisse an den serbischen Nationalismus führen. Bestenfalls ergeben sie Stagnation wie in Bosnien-Herzegowina, schlimmstenfalls Krieg wie im Kosovo. Die EU kann sich jedoch ein solches Risiko auf Dauer nicht leisten.
Marieluise Beck, 55, sitzt für die Grünen im Bundestag. Dort ist sie Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und befasst sich vor allem mit den Ländern Ostmitteleuropas. Sie war Integrationsbeauftragte der rot-grünen Bundesregierung.
Die Erwartung an die serbische Regierungskoalition, sowohl die Unabhängigkeit des Kosovos hinzunehmen als auch die Kooperation mit Den Haag ernsthaft zu betreiben, ist naiv, zumindest aber zu optimistisch. Diese Koalition stellt allenfalls eine Balance zwischen Nationalisten und Nichtnationalisten dar, deren Existenz an den Status quo in beiden Fragen gebunden ist. Die jüngste Auslieferung zweier Kriegsverbrecher war deshalb nicht mehr als ein Bauernopfer zur Vermeidung der Auslieferung von Mladic und Karadþic. Auch ein erkennbares Einlenken in der Kosovofrage wäre angesichts der Kräfteverhältnisse ziemlich sicher das Ende der Regierung zugunsten einer Machtübernahme der Radikalen, mit oder ohne Wahlen. Freundliche Angebote wie die Partnerschaft mit der Nato und die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der EU machen unter diesen Umständen wenig Eindruck.
Die EU-orientierten Kräfte sind zu schwach, als dass sie deren Angebote in eine entsprechende Politik umsetzen könnten. Im Gegenteil, diese Angebote stärken die Nationalisten, denn sie wirken als deren Sieg. Aus der Perspektive eines Koðtunica heißt dies: Seht, der Westen akzeptiert unser Selbstbewusstsein, er bietet uns Verhandlungen an. Wahre Nationalisten jedoch sind - im Unterschied übrigens zu Miloðevic - Überzeugungstäter und nicht käuflich.
Das wiederholte Scheitern von internationalen Vermittlergruppen in der Kosovofrage liegt auch in der holzschnittartigen Wahrnehmung der parteipolitischen Landschaft Serbiens. In der deutschen Öffentlichkeit ist es beispielsweise üblich, die serbischen Parteien in demokratisch und nichtdemokratisch zu unterteilen. Nicht nur die Medien tun dies, auch professionelle Außenpolitiker bis hin zum Auswärtigen Amt freuten sich über die neue vermeintlich demokratische Koalition in Belgrad. Diese grobe Zuordnung verleitet zu falschen Prognosen. Nur weil Parteien demokratische Wahlen respektieren, besitzen sie nicht automatisch ein positives Verhältnis zum Westen und seinen Erwartungen.
Natürlich sind ungefälschte Wahlen zu begrüßen. Aber sie genügen nicht als Ausweis demokratischer Kultur und schon gar nicht der Fähigkeit, sich in supranationale Strukturen wie die EU zu integrieren. Entscheidend für das politische Handeln in Serbien - wie in seinen Nachbarstaaten - ist die nationalistische Grundhaltung der gesellschaftlichen Mehrheit. Es sollte also unterschieden werden zwischen westlich orientierten und nationalistischen Strömungen und Parteien. Dies ist das angemessene Koordinatensystem zur Bewertung politischer Ziele und Strategien.
Die nationalistischen Parteien haben keinerlei Anlass für Wahlbetrug, denn sie repräsentieren die Mehrheit. Sie alle entstammen der Opposition zur Sozialistischen Partei, die vor sieben Jahren Miloðevic an der Macht halten wollte. Nicht dessen aggressiver Nationalismus brachte die Gesellschaft gegen ihn auf, sondern die dramatischen wirtschaftlichen Folgen der verlorenen Kriege.
Das Spektrum der Nationalisten reicht von der Radikalen Partei über die Monarchisten des bisherigen Außenministers Draðkovic bis zur DSS von Koðtunica. Dennoch haben sie alle bereits mit Miloðevic koaliert oder sich tolerieren lassen. Das Bindeglied dafür war und ist die Ablehnung des Westens und seiner Forderungen. Wer heute in Serbien die Auslieferung von Ratko Mladic an das Tribunal in Den Haag fordert, beißt auf Granit.
Auch die im Westen gerühmte Demokratische Partei schwankt traditionell zwischen westlicher und nationalistischer Orientierung. Personen wie Djindjic und jetzt Tadic sind nicht einfach repräsentativ für sie. Ähnliches gilt für eine Reihe kleinerer, darunter sozialdemokratischer Parteien. Indifferent in dieser Frage ist die wirtschaftsliberale Partei G 17, die aber für ihr Reformprogramm auf den Westen angewiesen ist. Den einzigen klaren Kontrapunkt bieten die mutige Liberaldemokratische Partei und ihre Verbündeten. Zwar sind sie immerhin ins Parlament gekommen. Aber fünf Prozent sind wahrlich keine Mehrheit.
In der serbischen Gesellschaft gibt es einen beständigen Zielkonflikt: das Bedürfnis nach Wohlstand mithilfe der EU einerseits, die Pflege des Opferstatus des unverstandenen Serbentums andererseits. Eine positive Entwicklungsdynamik mit der Wirtschaft als Triebkraft wäre natürlich wünschenswert. Sie bedeutet allerdings nicht, dass das nationalistische Selbstverständnis automatisch aufgelöst wird. Der Nationalismus muss sicht- und fühlbar scheitern, damit eine echte demokratische Entwicklung möglich wird. Dazu gehört auch, den Verlust des Kosovos hinzunehmen. Zwar kann die EU dort auch ohne Statusregelung agieren, solange dies auf der Basis der UN-Resolution 1244 oder einer modifizierten Nachfolgeresolution geschieht. Auch die internationale Schutztruppe KFOR kann ohne Statusregelung in die europäische Eufor umgewidmet werden. Aber eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik wird so nicht entstehen. Allenfalls könnte eine neuerliche Gewalteskalation verhindert werden. Um nicht den Eindruck einseitig antiserbischer Rhetorik entstehen zu lassen: Der albanische Nationalismus ist nicht weniger entwickelt als der serbische. Historisch jedoch ist nun mal das Kosovo zum Opfer Serbiens geworden und nicht umgekehrt. Deshalb, aber auch mit Blick auf die Zukunft der nächsten Jahre und Jahrzehnte führt an der Anerkennung des Kosovos als unabhängiger Staat kein Weg vorbei. Und so wie nur über den Umweg der Selbstständigkeit das Kosovo den Weg nach Europa finden kann, kann Serbien dasselbe nur über das Eingeständnis seiner Niederlage gelingen.
Dazu beizutragen ist Aufgabe auch der EU, will sie Serbien helfen und das Land schließlich integrieren. Wohlwollende Angebote mit zugedrückten Augen sind dafür das falsche Mittel. Die serbische Gesellschaft darf nicht darum herumkommen, sich selbstkritisch mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie braucht die Erkenntnis der selbst verschuldeten Niederlage, zu der sie bisher infolge der Politik des Westens nicht gezwungen war. Natürlich muss das prinzipielle Angebot der EU-Mitgliedschaft aufrechterhalten bleiben. Aber es darf zu keinen Zugeständnissen hinsichtlich der Bedingungen dafür verleiten.
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