Ehrenmord: Fall Sürücü: Lob für Justiz
Berliner Politiker und Verbände begrüßen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, den Sürücü-Prozess neu aufzurollen.
Die Wiederaufnahme des Sürücü-Prozesses stößt in Berlin auf Zustimmung. PolitikerInnen, Verbände und Betroffenenorganisationen begrüßen, dass sich zwei Brüder der ermordeten Deutschtürkin nun erneut vor Gericht verantworten müssen.
Die frauenpolitische Sprecherin der Linken, Evrim Baba, lobte die "richtige Entscheidung" des Bundesgerichtshofs (BGH). Ehrenmorde seien eine Familienentscheidung, daher sei es richtig, die Beteiligung der Brüder noch einmal zu untersuchen. "Der Freispruch für die Brüder war enttäuschend. Es ist gut, dass jetzt noch einmal nach Gerechtigkeit für Hatun gesucht wird", sagte Baba der taz. Die Politikerin hofft, dass ein erneutes Verfahren die türkische Community von Nachahmertaten abhält.
Der BGH in Leipzig hat am Dienstag entschieden, die Freisprüche für Mutlu und Alpaslan Sürücü wegen fehlerhafter Beweiswürdigung aufzuheben. Den beiden wird nun erneut vorgeworfen, im Februar 2005 gemeinsam mit ihrem Bruder Ayhan die Schwester ermordet zu haben, weil der Familie ihr Lebensstil missfiel. Die 23-jährige Deutschtürkin wurde in Tempelhof auf offener Straße von Ayhan erschossen. Obwohl Beobachter des Prozesses von einem gemeinschaftlich geplanten "Ehrenmord" ausgingen, verurteilte das Berliner Landgericht im April 2006 lediglich den zur Tatzeit 18-jährigen Ayhan zu einer Jugendstrafe von neun Jahren.
Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Volker Ratzmann, begrüßte, dass der Prozess wieder aufgerollt wird: "Für Ehrenmorde gibt es weder eine kulturelle noch eine religiöse Rechtfertigung." Canan Bayram, frauenpolitische Sprecherin der SPD, nannte die BGH-Entscheidung eine "schallende Ohrfeige" für das Landgericht. "Lückenhafte Beweisführung heißt, das Gericht hat seine Arbeit nicht ordentlich gemacht." Bayram äußerte die Hoffnung, dass bei ähnlichen Fällen künftig die Rolle der Familie und der kulturelle Hintergrund stärker beachtet werde. Innenminister Ehrhart Körting (SPD) sprach von einem "politischen Signal, dass gegen überhöhte Ehrvorstellungen, die zum Tode führen, mit aller Konsequenz vorgegangen wird".
"Wir können die Entscheidung des Gerichts nachvollziehen", erklärte Eren Ünsal, Vorstandssprecherin des Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg. Juristische Bewertungen seien aber nicht Sache des Verbandes.
Ob Mutlu und Alpaslan Sürücü eine Beteiligung an dem Mord nachgewiesen werden kann, hängt wesentlich von der Aussage der Exfreundin des Todesschützen ab. Nach ihren Angaben hatte ein Bruder die Waffe besorgt, der andere Schmiere gestanden. Im Prozess beurteilte das Gericht die Aussagen als "widersprüchlich". Ulrike Zecher, Anwältin der jungen Frau, die im Zeugenschutzprogramm lebt, sieht den neuen Prozess mit gemischten Gefühlen. Das Urteil sei falsch gewesen, aber nicht leichtfertig. Die Wiederaufnahme sei richtig, eine Verurteilung der Brüder jedoch nicht garantiert. "Die Gerechtigkeit bekommt nun eine neue Chance, doch meine Mandantin zahlt dafür einen sehr hohen Preis: die erhöhte Gefährdung und die Tortur tagelanger Vernehmungen."
Mutlu und Alpaslan Sürücü halten sich in der Türkei auf. Für den 28-jährigen deutschen Staatsbürger muss die Justiz die Auslieferung beantragen. Der 26-jährige Alpaslan ist türkischer Staatsbürger und muss selbst entscheiden, ob er auf die Anklagebank will.
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