Ehrenmord-Prozess: Die neue Last der Melek A.
"Eine verschärfte Gefährdung" bedeute die Neuauflage des Ehrenmord-Prozesses für die Kronzeugin, so ihre Anwältin.
Eine Chance für die Gerechtigkeit nennt die Anwältin den neuen Prozess. Doch für diese Chance zahlt Melek A. einen hohen Preis. Und das schon seit zweieinhalb Jahren. Nicht einmal ihr Name ist der heute 20-jährigen Deutschtürkin geblieben. Gemeinsam mit ihrer Mutter ist sie im Zeugenschutzprogramm der Polizei, lebt mit einer neuen Identität an einem geheimen Ort. Jetzt stehen Melek A. erneut nervenaufreibende Monate vor dem Berliner Landgericht bevor.
Denn von ihrer Aussage und deren Bewertung wird es vor allem abhängen, ob die beiden Brüder Mutlu und Alpaslan Sürücü doch noch des Mordes an ihrer Schwester Hatun für schuldig gesprochen werden. Wieder wird Melek A. die Kronzeugin der Staatsanwaltschaft sein. "Das wird die Gefährdungslage erneut verschärfen", sagte Anwältin Ulrike Zecher, die der jungen Frau als Rechtsbeistand zur Seite steht, gestern der taz.
Der Bundesgerichtshof hatte am Dienstag den Freispruch der beiden Brüder aufgehoben und den Fall zur Neuverhandlung an das Berliner Landgericht zurückverwiesen. Ihnen wird erneut vorgeworfen, gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Ayhan im Februar 2005 ihre Schwester Hatun ermordet zu haben, weil sie den westlichen Lebensstil der jungen Frau missbilligten. Der jüngste Bruder hatte vor Gericht ein Geständnis abgelegt, er will die Tat aber allein begangen haben. Die beiden älteren Brüder hatte das Gericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Eine der Begründungen dafür: Melek A., die Kronzeugin, hatte das meiste ihres Wissens nur vom Hörensagen, sei also nur eine Zeugin zweiter Klasse.
Melek war zur Tatzeit die Freundin von Ayhan Sürücü, des jüngsten der drei Brüder. Schon vor der Tat zog er Melek ins Vertrauen, später erzählte er ihr von dem Mord. Mutlu habe die Waffe besorgt, Alpasan habe Schmiere gestanden und Ayhan geschossen, lautete der erschreckende Bericht, den Melek wenig später bei der Polizei abgab. Vor Gericht bestätigte Ayhan diese Aussage, behauptete aber, Melek angelogen zu haben, um Rückendeckung durch seine Familie vorzutäuschen. Das aber zweifelt das BGH an.
Und in der Tat ist es nicht nachvollziehbar, warum Ayhan Melek belogen haben soll. Denn er vertraute seiner Freundin, die alles tat, um so zu sein, wie er sich ein Mädchen wünscht. Aus der selbstbewussten jungen Frau, die ihr Haar zeigte und in Discos ging, wurde eine stille Kopftuchträgerin, die viel über den Islam nachdachte. Widerworte gab sie nicht, auch wenn Ayhan andere Frauen auf der Straße als Schlampen beschimpfte. "In der Zeit habe ich das akzeptiert", sagte Melek vor Gericht, wo sie dreimal mit kugelsicherer Weste und unter Polizeischutz aussagte. Das Haar trug sie wieder offen.
Einen Dialog will Melek selbst gehört haben. "Ich hab dir doch gesagt, schieß ihr in den Kopf", habe Alpaslan kurz nach der tat zu Ayhan gesagt. An dieses wichtige Detail aber erinnerte sich Melek A. erst im Prozess. Diese Aussagen und einige Indizien soll das Landgericht nun erneut überprüfen.
Wann der Prozess beginnen wird, ist offen. Zunächst einmal muss die Berliner Justiz der beiden Brüder, die sich derzeit in der Türkei aufhalten, habhaft werden. Der 28-jährige Mutlu, der laut Meleks Aussagen die Waffe besorgt und zur Tat gedrängt haben soll, hat einen deutschen Pass. Wird er mit internationalem Haftbefehl gesucht und in der Türkei gefasst, muss die Türkei ihn ausliefern, heißt es im Justizministerium.
Komplizierter ist die Lage bei dem 26-jährigen Alpaslan, der türkischer Staatsbürger ist. Denn eigene Landsleute muss man nicht ausliefern. "Uns ist kein Vorgang bekannt, in dem die Türkei das getan hat", sagt der Sprecher des Justizministeriums. Das Verfahren könnte also jahrelang auf Eis liegen.
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