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DebatteDrehbuch für den Sozialabbau

Kommentar von Christoph Butterwegge

Vor 25 Jahren wurde das Lambsdorff-Papier publik. Es markiert eine Wende: Der Neoliberalismus errang die öffentliche Meinungsführerschaft in der Bundesrepublik.

D ie neoliberale Wende in Deutschland begann vor 25 Jahren mit dem "Lambsdorff-Papier", das als Drehbuch zum Sozialabbau gedacht war. Nicht nur die Kohl-Regierung folgte dieser Rezeptur, und die rot-grüne Agenda 2010 übertraf die Lambsdorff-Vorschläge sogar noch.

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Christoph Butterwegge ist Professor für Politik an der Universität Köln. Einer seiner Schwerpunkte ist die Armutsforschung. Kürzlich hat er das Buch "Kritik des Neoliberalismus" veröffentlicht.

Am 9. September 1982 legte Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff unter dem programmatischen Titel "Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" sein Memorandum vor. SPD und FDP konnten sich damals nicht einigen, wie ihre Regierung auf die wachsende Zahl der Arbeitslosen reagieren sollte. Da die Liberalen weitreichende Kürzungen beim Sozialstaat verlangten und sich die SPD mit diesen Plänen schwertat, suchte Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher nach einer Möglichkeit, Helmut Schmidt zu stürzen und möglichst ohne Neuwahlen einen Regierungswechsel herbeizuführen.

In der mehrwöchigen Regierungskrise spielte das Lambsdorff-Papier die Schlüsselrolle. Schmidt bezeichnete es im Bundestag als "Dokument der Trennung", das der FDP als Wegweiser zu anderen Mehrheiten diene: "Sie will in der Tat eine Wende, und zwar eine Abwendung vom demokratischen Sozialstaat im Sinne des Artikel 20 unseres Grundgesetzes und eine Hinwendung zur Ellenbogengesellschaft." Schmidt wurde drei Wochen später durch ein "konstruktives Misstrauensvotum" abgewählt und Helmut Kohl wurde zum Bundeskanzler einer CDU/CSU-FDP-Koalition.

Lambsdorffs Denkschrift war mehr als eine koalitionspolitische Scheidungsurkunde, denn damit errang der Neoliberalismus die öffentliche Meinungsführerschaft in der Bundesrepublik. Was den Marktradikalen bereits in Großbritannien unter Margaret Thatcher und in den USA unter Ronald Reagan gelungen war, schafften sie nach dem Regierungswechsel von Schmidt zu Kohl nun auch hierzulande: Der Interventionsstaat wurde einer Fundamentalkritik unterzogen und unter dem Beifall der Massenmedien eine rigorose "Reform"-Politik eingeleitet, die rückwärtsgewandt und "modern" zugleich ausfiel.

Zu den erklärten Zielen des Memorandums gehörten eine spürbare Erhöhung der Kapitalerträge und eine "relative Verbilligung des Faktors Arbeit". Dort wurde auch das neoliberale Dogma formuliert, wonach man die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber - in heutiger Diktion: die "gesetzlichen Lohnnebenkosten" - verringern muss, um der Massenarbeitslosigkeit Herr zu werden. Erfolgversprechend sei nur eine Politik, hieß es weiter, die der Wirtschaft durch Schaffung "möglichst günstiger" Investititionsbedingungen wieder den "Glauben an die eigene Zukunft" gebe.

Während den Unternehmen eine "Verbesserung der Ertragsperspektiven" und "in besonderen Fällen auch gezielte Hilfen" versprochen wurden, ließ das Lambsdorff-Papier keinen Zweifel daran, dass sich die ArbeitnehmerInnen und Bedürftigen künftig selbst helfen statt noch auf den Sozialstaat hoffen sollten. Man wollte einerseits die öffentlichen Ausgaben "von konsumtiver zu investiver Verwendung" umstrukturieren und andererseits die sozialen Sicherungssysteme "an die veränderten Wachstumsmöglichkeiten" anpassen sowie "der Eigeninitiative und der Selbstvorsorge wieder größeren Raum" geben.

Abschließend stellte das Lambsdorff-Papier fest, im wirtschaftlichen und sozialen Bereich könne es gar keine wichtigere Aufgabe als die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Wachstumsförderung geben: "Wer eine solche Politik als 'soziale Demontage' oder gar als 'unsozial' diffamiert, verkennt, daß sie in Wirklichkeit der Gesundung und Erneuerung des wirtschaftlichen Fundaments für unser Sozialsystem dient." Dieses Argumentionsmuster haben Gerhard Schröder und Helmut Kohl immer wieder gern benutzt: Der Wohlfahrtsstaat sei nur zu retten, indem er zunächst zusammengestrichen wird. Als könnte das Soziale in seiner Substanz erhalten werden, indem die Regierungspolitik es abwertet und Stück für Stück zurückdrängt!

Das Lambsdorff-Papier listete detailliert fast alle "sozialen Grausamkeiten" auf, welche die Kohl-Regierungen und ihre Nachfolger verwirklichten: So war davon die Rede, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf 12 Monate zu begrenzen sei. Die stärkere Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen findet sich ebenfalls bereits im Memorandum des FDP-Politikers. Auch ein "demografischer Faktor" sollte eingeführt werden, um die Rentenhöhe zu beschränken ("Berücksichtigung des steigenden Rentneranteils in der Rentenformel"). Selbst die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre wurde schon im Lambsdorff-Papier als die "einzige Möglichkeit" bezeichnet, wie einer "weiter steigenden Belastung durch Steigerung der Lebenserwartung zu begegnen" sei.

Erst das rot-grüne Gesetzespaket namens "Hartz IV" ging über den damals provokant wirkenden Forderungskatalog des FDP-Wirtschaftsministers hinaus: Lambsdorff dachte noch nicht daran, die Arbeitslosenhilfe gänzlich abzuschaffen und durch ein auf Sozialhilfeniveau abgesenktes Arbeitslosengeld II zu ersetzen. Aber auch hier wies der neoliberale "Marktgraf" bereits den Weg: Lambsdorff forderte eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln für Erwerbslose. Zudem wollte er prüfen lassen, ob die Arbeitslosenhilfe nicht von den Sozialämtern verwaltet werden könne.

Ein Mitverfasser des Lambsdorff-Papiers war Hans Tietmeyer, damals noch Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium. Später machte er Karriere als Bundesbankpräsident und leitete schließlich das Kuratorium der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Diese Lobby-Einrichtung wurde von den Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie mit 100 Millionen Euro (über zehn Jahre gestreckt) finanziert und fungierte als ideologischer Wegbereiter der rot-grünen Reformagenda. In einer Stellungnahme mit dem Titel "Dieser Sozialstaat ist unsozial. Nur mehr Freiheit schafft mehr Gerechtigkeit" verkündete Tietmeyer 2001 das neoliberale Credo seiner Tätigkeit: "Es ist nicht sozial, sondern ungerecht, wenn leistungswilligen Sozialhilfeempfängern durch starre Regeln die Chance genommen wird, auf eigenen Beinen zu stehen. Es ist ebenso unsozial, die Menschen durch Dauersubventionen abhängig zu machen, statt ihre Eigeninitiative und Eigenvorsorge zu stärken. Es gefährdet schließlich den Wohlstand und die soziale Sicherheit aller, wenn der Standort Deutschland wegen mangelnder Flexibilität seine Wettbewerbsfähigkeit verliert."

In den Sozialerhebungen ist das Ergebnis dieser Politik abzulesen: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Einerseits leben fast 2 Millionen Kinder in Hartz-IV-Familien von 208 Euro pro Monat, andererseits beträgt das Privatvermögen der Aldi-Eigentümer Karl und Theo Albrecht 37,5 Milliarden Euro. Für die Wähler-Klientel der FDP hat sich das Lambsdorff-Papier offenbar rentiert.

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