Präsidentenwahl gescheitert: Libanon droht eine neue Spaltung
Der aktuelle Konflikt zwischen den USA und dem Iran entzweit das Parlament in Beirut. Daran scheitert die Neuwahl eines Präsidenten.
BEIRUT taz Wird der Libanon demnächst einen Präsidenten haben, der auf die USA oder auf den Iran hört? Die Frontlinie bei der gegenwärtigen Konfrontation zwischen Washington und Teheran verläuft auch quer durch das libanesische Parlament. Die USA unterstützen die Regierungsmehrheit unter Premier Fuad Siniora, Iran und Syrien das von Hisbollah angeführte Oppositionsbündnis. Als die Parlamentarier in Beirut am Dienstag einen neuen libanesischen Präsidenten wählen sollten, blieb der offene Schlagtausch aber zunächst aus.
Dreimal läutete die Parlamentsglocke, die die Abgeordneten in die Sitzung rief, doch die Vertreter der Opposition waren entweder gar nicht gekommen oder sie blieben auf den Gängen. Daraufhin vertagte Parlamentssprecher Nabih Berri die Sitzung zur Wahl eines neuen Präsidenten auf den 23. Oktober, da das notwendige Zweidrittelquorum nicht gegeben war. Spätestens am 23. November läuft die Amtszeit des jetzigen Präsidenten Émile Lahoud endgültig aus. So lange hat das Parlament nun Zeit, sich auf einen Kandidaten zu einigen, ansonsten drohen dem Libanon zwei Regierungen.
"Das wäre eine Katastrophe für das Land, wenn zwei Regierungen sich gegenseitig herausfordern würden und versuchen, die lebenswichtigen Institutionen des Landes an sich zu reißen", prophezeit der ehemalige libanesische Premierminister Selim Hoss gegenüber der taz. Hoss hat Ende der 70er-Jahre zu Zeiten des 15-jährigen Bürgerkrieges regiert. "Damals gab es auch zwei Bürgerkriegsseiten, aber die Fronten waren eben auch geografisch festgelegt", sagt er. "Wenn es heute zwei Regierungen gäbe, dann würde die Front durch jedes Haus, jede Straße und jedes Dorf verlaufen. Die Lage wäre noch explosiver als zu Bürgerkriegszeiten."
Hoss verweist darauf, dass die Entscheidung, wer das libanesische Präsidentenamt bekleiden wird, auch außerhalb des Landes zwischen den USA und dem Iran ausgehandelt werden muss. Einen Konsenskandidaten für das Präsidentenamt zu finden, sieht Hoss als den einzigen möglichen Ausweg aus der Krise. Doch er glaubt nicht, dass ein entsprechender Vorschlag aus den Reihen der Politiker der zerstritten Lager kommen kann, "die sich in den letzten Monaten allesamt, ob Regierung oder Opposition, mit ihrer spalterischen Politik verbrannt haben". Wenn überhaupt, dann könne ein Konsenskandidat nur aus dem Militär, der Zivilgesellschaft oder aus der Wirtschaft kommen, meint Hoss.
Zumindest die Mehrheitsfraktion der Regierung gibt sich skeptisch. Jawad Boulis ist einer ihrer Abgeordneten, die sich aus Angst vor Anschlägen in einem Fünfsternehotel im Zentrum Beiruts verschanzt haben. Mit gutem Grund: Bereits acht Politiker der Regierungsmehrheit sind Anschlägen zum Opfer gefallen. Nach zahlreichen Sicherheitschecks landen Besucher, begleitet von Sicherheitsbeamten, zum Gespräch mit Boulis in einem der oberen Stockwerke des Hotels in einer Suite mit zugezogenen Gardinen - eine weitere Sicherheitsmaßnahme. Und selbst dann wird das Gespräch noch misstrauisch von einem Leibwächter beobachtet.
"Wir sind nicht nur um unsere Leben besorgt, sondern auch darüber, rein physisch die Mehrheit zu bleiben", rechtfertigt der Abgeordnete die Maßnahmen. Die Regierung verfügt im Parlament nur noch über eine Mehrheit von zwei Stimmen; im Falle des Todes eines Abgeordneten müssen in dessen Wahlbezirk Nachwahlen stattfinden. Boulis will notfalls in den nächsten Wochen einen Präsidenten mit einfacher Mehrheit, ohne die Zustimmung der Opposition, durchsetzten. Einen Konsenskandidaten kann er sich nur schwer vorstellen. "Wir erleben hier einen Kampf zwischen zwei politischen Lagern mit zwei völlig unterschiedlichen Visionen für den Libanon", erklärt er.
Der ehemalige Ministerpräsident Hoss glaubt, dass die Präsidentenwahl bisher auch deshalb ungelöst ist, weil sich weder Teheran noch Washington bisher entschieden haben, welchen Kurs sie fahren werden. Denn ob es am Ende einen Konsenskandidaten oder zwei Regierungen gibt, wird auch ein Hinweis dafür sein, worauf Washington und Teheran in Zukunft in dieser Region setzten: auf Koexistenz oder Konfrontation.
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