Ringer in Berlin: Ringer ringen um Anerkennung
Der Türkische Ringerverein Berlin (TRV) ist seit Jahresbeginn in der ersten Liga - und steht jetzt sogar auf Platz zwei in der Staffel Nord.
Mit der letzten Kraft der Verzweiflung versucht der Gegner von Emin Eminov noch einmal irgendwie vom Fleck zu kommen. Doch der Bulgare Eminov liegt wie ein Zementblock über ihm und drückt seine beiden Schulterblätter zu Boden. Deutlich mehr als eine Sekunde lang. Der so genannte Schultersieg ist perfekt.
Das lässt die knapp 300 Zuschauer in der Weddinger Louise-Schröder-Halle von ihren Plastikstühlen emporschnellen. Viele hüpfen vor Freude auf und ab, einige umarmen sich und einer springt seinem Nachbarn vor Begeisterung sogar auf den Rücken. Geradezu ekstatisch bejubeln die Anhänger des Türkischen Ringervereins Berlin (TRV) die Vorentscheidung im Kampf gegen die Sportgemeinschaft von Frankfurt/Eisenhüttenstadt. Am Ende gewinnt der TRV nach neun Spielen mit 23:11. Wie ohrenbetäubend muss der Lärm Anfang des Jahres gewesen sein, als über 1.000 Anhänger den Aufstieg in die erste Liga feierten.
Am Samstagabend wurde von den Vereinsverantwortlichen der deutlich geringere Zuschauerzuspruch mit dem zeitgleich stattfindenden Länderspiel der türkischen Nationalmannschaft erklärt. Nach über vierzig Jahren gibt es in Berlin wieder einen Ringerclub in der ersten Liga. Und dieser steht nach jetzt vier Siegen in vier Kämpfen auf Platz zwei in der Staffel Nord. Das erfreut aber fast nur die türkischstämmige Community der Stadt.
Dabei ist man beim TRV stolz darauf, dass man im Unterschied zu einigen anderen Vereinen in der ersten Liga keinerlei Probleme mit der Vorschrift hat, drei Ringer mit deutschem Pass auf die Matte zu schicken. Einige haben hier die doppelte Staatsbürgerschaft. Und es gibt auch zwei "urdeutsche" Sportler.
Einer von ihnen ist Mirko Klein. Er stellt gegen Frankfurt/Eisenhüttenstadt die Weichen frühzeitig auf Sieg, als er den Kampf gegen einen eigentlich als stärker eingeschätzten Konkurrenten für sich entscheiden kann. Klein kam im Sommer aus dem nordrhein-westfälischen Witten nach Berlin und fühlt sich wohl beim TRW. Er sagt: "Anders als bei meinen früheren Stationen wird hier im Team nicht zwischen Gewinnern und Verlierern unterschieden. Es geht sehr familiär im Verein zu." Am Mattenrand skandieren die Deutschtürken "Mirko, Mirko". Der TRV könnte ein Musterbeispiel für gelungene Integration in Berlin sein - wenn nicht die deutschen Zuschauer fehlen würden.
Ahmet Dedeoglu, ein Vorstandsmitglied vom TRV, sagt, man habe sich bislang vergebens bemüht, die Publikumskreise zu erweitern. Faxe und Einladungen an die Berliner Presse und Lokalpolitiker seien wirkungslos geblieben. "Das hat uns schon ein bisschen wehgetan." Auch Dedeoglus Bruder Ibrahim, der Präsident des Clubs, sagt: "Wir sind kein türkischer, sondern ein Berliner Verein." Zum TRV sollen sich viele zugehörig fühlen. Deshalb hat man in der Halle neben der deutschen und türkischen Flagge vorsorglich auch die der EU aufgehängt.
Allerdings wird beim TRV Berlin auch stolz darauf hingewiesen, dass man der einzige türkische Verein außerhalb des Mutterlandes sei, der es in dieser Sportart bis in die höchste Liga geschafft hat. Der türkische Ringerverband in Istanbul hat dem Club deswegen sogar drei Ringer aus dem Nationalkader nach Berlin geschickt - und deren Bezahlung versprochen.
Trotzdem hat es die Sportart, die vor allem in der Provinz ihre Freunde hat, in der Hauptstadt schwer. "In Berlin juckt es doch keinen, dass ich fünffacher deutscher Meister bin", sagt TRV-Mannschaftskapitän Ramazan Aydin. Die letzten drei Deutschen Vereinsmeister im Ringen hießen Köllerbach, Luckenwalde und Schifferstadt. "1. Bundesliga Ringen funktioniert in Berlin nicht", hat René Schäfer, der Vorsitzende des Stadtrivalen SV Luftfahrt, vor zwei Jahren behauptet. Und Vorstandsmitglied Ahmet Dedeoglu räumt ein, dass man bislang nur die Hälfte des Saisonetats zusammen hat.
Sollte man aber in der Endabrechnung tatsächlich unter die ersten vier kommen, dürfte das Geld bei den Sponsoren künftig lockerer sitzen. Bislang wird der Verein übrigens ausschließlich von türkischstämmigen Unternehmern finanziert.
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