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Die Elfenbeinküste bürgert ein"Ohne Papiere kein Mensch"

Mobile Gerichte entscheiden im Schnellverfahren, wer Ivorer sein darf. Die Verhandlungen sind gut besucht - wo sonst erfährt man so spannende Familiengeschichten?

Spielende Kinder von der Elfenbeinküste. Bild: reuters

PORT-BOUËT taz Bouraim Sawadogo überprüft noch einmal, ob seine Kinder ordentlich aussehen. Gleich beginnt der Gerichtstermin, dafür haben sie ihre beste Kleidung herausgeholt und sie tadellos gebügelt. Aber es ist nicht zu übersehen, dass der 50-Jährige und seine Familie aus einfachen Verhältnissen kommen: Die Ränder von Bouraims Hemdkragen fransen aus, unter den Achseln ist der Stoff eingerissen, und Aminata, seine Tochter, trägt einen einfachen Wickelrock und Plastikschlappen. Der Koch Bouraim Sawadogo lebt seit dreieinhalb Jahrzehnten in Elfenbeinküste, wie Hunderttausende kam auch er einst aus dem nördlichen Nachbarstaat Burkina Faso. Obwohl sie in Elfenbeinküste geboren wurden, haben die fünf Kinder, mit denen er heute vor Gericht erschienen ist, burkinische Papiere. "Wir haben uns einfach nicht um die Dokumente gekümmert", sagt er.

AUS EINWANDERERN WERDEN BÜRGER

Die Situation: Kein Land der Welt hat einen so hohen Ausländeranteil wie die Elfenbeinküste - fast ein Viertel der 20 Millionen Einwohner haben keinen ivorischen Pass. Die meisten sind Einwanderer aus den Nachbarländern Burkina Faso, Mali und Ghana, die oft schon seit Generationen ansäss. Der Konflikt: Die Debatte darüber, ob den Migranten Bürgerrechte zustehen, ist eine Folge des Bürgerkriegs, der 2002 die Elfenbeinküste geteilt hat: den Süden um die Metropole Abidjan kontrolliert seither Präsident Laurent Gbagbo, dessen Parteigänger den Einwanderern das Wahl- und Landrecht absprechen. Den Norden, und damit die Grenze zu Burkina Faso und Mali, beherrschen Rebellen, die aus meuternden Militärs hervorgegangen sind. Der Frieden: Nach mehreren erfolglosen Versuchen vereinbarten Präsident Laurent Gbagbo und Rebellenführer Guillaume Soro die Bildung einer gemeinsamen Regierung mit Soro als Premier. Sie sollen für 2008 freie Wahlen vorbereiten und als ersten Schritt dazu ein Wahlregister und Personalausweise ausstellen. Dabei sollen auch die Millionen Nachkommen der Einwanderer erstmals Papiere erhalten - damit aus Bürgern Wähler werden. Seit zwei Monaten laufen nun die Anhörungen vor den so genannten Mobilen Gerichten, bis Jahresende sollen sie eigentlich abgeschlossen sein

Richter Thaïrou Dembele trinkt Tee und unterhält sich noch ein bisschen mit seiner jungen Kollegin von der Staatsanwaltschaft. Sie warten auf ein paar mehr Antragsteller für diesen Tag. Bislang sind erst drei gekommen, also plauschen die Juristen über Politik. Die hat sie schließlich auch hierher zum Sitz des Bürgermeisters von Port-Bouët geführt, dem Armenviertel der ivorischen Metropole Abidjan am Atlantik. Für drei Monate sind sie herbeordert worden - als Audiences Foraines, als Mobile Gerichte, die dafür sorgen sollen, dass aus Bittstellern Bürger werden, aus Migranten Wähler. Das Verfahren ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Friedensprozess in Elfenbeinküste, fünf Jahre nachdem eine Rebellion das Land in zwei Hälften gespalten hat.

Im Süden herrscht heute der gewählte Präsident Laurent Gbagbo, im Norden Rebellenführer Guillaume Soro. Im Frühjahr hatten die beiden endlich Frieden geschlossen. Soro wurde Premierminister, und man einigte sich darauf, im kommenden Jahr Wahlen abzuhalten sowie die jahrelang strittige Frage des Status der westafrikanischen Migranten mit Hilfe Mobiler Gerichte zu klären. Wer dort erscheint, muss seine Identität bestätigen können und erhält sofort eine neue Geburtsurkunde. Jeder vierte Bewohner in Elfenbeinküste kann so zum rechtmäßigen Bürger werden - und so auch zum Wähler.

"Ohne Papiere fühlt man sich nicht wie ein Mensch", sagt Nike Kwame, "eher wie ein Huhn, von dem keiner weiß, ob es überhaupt noch lebt." Die 25-jährige Straßenhändlerin ist vor Gericht erschienen, um die Identität ihres Halbbruders Samuel zu bezeugen. Nikes Vater ist Ivorer, ihre Mutter Togoerin, Samuels Vater wiederum ist Nigerianer.

Die beiden werden von Thaïrou Dembele nach vorn gerufen. Der Richter sitzt mit der Staatsanwältin, einer Protokollantin und einem Gerichtsdiener auf dem Podium. Sie alle tragen schwarze Roben und weiße Krägen. Die Anhörung findet im Gemeindesaal von Port-Bouët statt. Der tennisplatzgroße, mit Ventilatoren gekühlte Raum ist zur Hälfte mit Plastikstühlen vollgestellt, auf der anderen Seite, in der Nähe des Richterpodiums, sitzen Gendarmen mit automatischen Waffen.

"Wie heißen Sie?", fragt der Richter. Samuel nennt seinen Namen. "Mit welchen Dokumenten können Sie dies nachweisen?", lautet die nächste Frage. Die Sitzung ist öffentlich, und tatsächlich sitzen viele Schaulustige in den Reihen. Für sie ist so eine Sitzung interessant, denn hier werden in aller Öffentlichkeit Familiengeheimnisse offenbart. Immer wieder hört man Lacher aus dem Publikum. Zum Beispiel, wenn erklärt wird, warum der Vater jetzt nach zwanzig Jahren die Vaterschaft seines Kindes endlich anerkennt - zufällig, wenn der Nachwuchs eigenes Geld verdient. Es scheint für viele im Publikum befreiend zu sein, zu hören, dass andere ganz ähnliche Probleme haben.

"Eigentlich ist diese Art von Befragung nichts Besonderes", sagt Richter Dembele. Er befolgt hier einfach die gesetzlichen Bestimmungen für das Ausstellen von Geburtsurkunden: Es reichen zwei Zeugen - Angehörige oder gute Freunde der Familie -, die den Antragsteller begleiten und seine Aussagen stützen. Und wenn sich die drei nicht in offensichtliche Widersprüche verheddern oder grundsätzliche Angaben, etwa zum Geburtsort des Antragsstellers, nicht machen können, ist die Anhörung und Bestätigung des Antrags eine Angelegenheit von nicht einmal fünfzehn Minuten.

So ist es heute auch bei den Sawadogos, Dossehs und Amessans. Alle bekommen nach der kurzen Prozedur ein Dokument. Damit gehen sie dann zur anderen Saalseite, wo an einem Tisch drei Gemeindebeamte sitzen. Die erfragen noch ein paar Formalien, etwa die Adresse, und händigen anschließend ein Formular aus. In ein paar Tagen können sich die Antragsteller schließlich im Gemeindebüro die endgültige Geburtsurkunde abholen, für eine Gebühr von umgerechnet gut 75 Cent. Das wars dann.

Sonst sind die Prozeduren viel teurer in Elfenbeinküste. Nicht zuletzt die Kosten für eine normale Geburtsurkunde haben viele Menschen bislang davon abgehalten, zum Standesamt zu kommen, ivorische Bürokratie kann viel Geld kosten. Und weil die Beamten bei Ausländern gerne noch mehr verlangen, haben hunderttausende Migranten bislang jeden Behördenkontakt gemieden. Aber ohne gültige Papiere geht hier nichts. Aminata Sawadogo und ihre Geschwister zum Beispiel haben nie eine Schule besucht - dafür hätten sie einen Ausweis oder eine Geburtsurkunde vorlegen müssen.

Angele Amessans Fall liegt anders. Die 22-jährige Kleinhändlerin gibt an, bereits Ivorerin zu sein, sie hat aber keine Papiere, die das belegen können. Das genau ist der wunde Punkt in der Krise der Elfenbeinküste: Gbagbo-Anhänger und Rebellen sind unterschiedlicher Meinung darüber, wer ein Recht auf die ivorische Staatsbürgerschaft hat. Politiker aus dem Norden des Landes behaupteten Jahre lang, dass Millionen Ivorer aus Volksgruppen, die es auch in den nördlichen Nachbarländern gibt, ohne Papiere und ohne Rechte leben. Politiker aus dem Süden hingegen spielten die Karte der ivorité. Sie meinen, dass nur Menschen, deren Familie seit Generationen auf dem Staatsgebiet der heutigen Elfenbeinküste ansässig sind, vollwertige Bürger sein können. So wollen sie sicherstellen, dass die seit der Kolonialzeit ins Land strömenden Gastarbeiter der Kakao- und Kaffeeplantagen politisch nicht mitreden können.

Letztes Jahr gab es schon einmal den Versuch, vor Mobilen Gerichten das Problem zu klären. Damals wurde noch während der Anhörung die Staatsbürgerschaft bestätigt, woraufhin Gbagbo-Milizen die Gerichte stürmten. "Das war ja alles ein riesiger Betrug", sagt Jean-Gilbert Konéweil, "hunderte bekamen umstandslos die ivorische Staatsbürgerschaft, das mussten wir verhindern." Konéweil ist Mitglied der Jungen Patrioten, der Gbagbo-treuen Milizen in Abidjan, er verfolgt vom Zuschauerraum aus die Verhandlung. Der gewaltsame Protest im Vorjahr hatte Erfolg, heute stellen die Mobilen Gerichte nur noch Geburtsurkunden aus, und damit hat Jean-Gilbert Konéweil kein Problem. Durch die jetzt überschaubare Zahl der Antragsteller sieht er sich bestätigt.

Tatsächlich finden sich an diesem Tag in Port-Bouët nur sechs Leute ein, auch in den nächsten Tagen werden es nicht viel mehr. In anderen Stadtteilen sind auch schon mal einige Dutzend erschienen, aber von Millionen, wie die Gegner des Verfahrens befürchteten, kann keine Rede sein. Zudem scheint bislang nur ein kleiner Teil von ihnen die ivorische Staatsbürgerschaft zu beanspruchen. Viele Antragsteller sind Ausländer, die einfach Papiere brauchen. Noch aber sind die Audiences Foraines nicht beendet. Erst 24 von geplanten 111 Mobilen Gerichten arbeiten bisher, sie alle sollten eigentlich am 25. September beginnen und bis zum 25. Dezember arbeiten. Im Moment sieht es aus, als würde sich die Prozedur noch Monate hinziehen.

In Port-Bouët sind alle zufrieden. Sawadogos Kinder haben nun alle Urkunden. Samuel Dosseh kann sich nach zehn Jahren für sein Examen anmelden. Und die beiden Zeuginnen von Angele haben glaubhaft versichert, dass ihr Vater und ihre Mutter tatsächlich Ivorer sind. Also bekommt Angele die ivorische Herkunft in ihre Geburtsurkunde geschrieben. Damit kann sogar der Beobachter der Jungen Patrioten leben. Ein gutes Zeichen für die Versöhnung.

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