piwik no script img

Nach dem Tod der JugendlichenWieder Krawalle in Pariser Banlieues

Knapp 40 Verletzte bei der Polizei, Festnahmen und brennende Barrikaden. In Frankreich fürchten viele die Wiederholung des Albtraums von 2005.

Starkes Gefühl. Bild: ap

Als "eine Stimmung von Aufstand", beschreibt Staatsanwältin Marie-Thérèse de Givry die Lage in Villiers-le-Bel. Am Dienstagmorgen beseitigen Gemeindebeamte zum zweiten Mal die Spuren nächtlicher Straßenschlachten. In dem 18 Kilometer nördlich von Paris gelegenen Ort brannten Jugendliche in der zweiten Nach in Folge Privatwagen, LKWs und Streifenwagen ab. Hinzu kommen eine ausgebrannte Gemeindebibliothek und eine zerstörte Vorschule.

Am Sonntagnachmittag waren in Villiers-le-Bel der 16-jährige Lakhami und der 15-jährige Mouhsin mit ihrem nicht zugelassenen Mini-Motorrad mit einem Polizeiwagen zusammengeprallt und noch am Unfallort gestorben. Nach ersten Ermittlungen trugen die Beamten keine Schuld, sollen Zeugen zufolge aber auch keine erste Hilfe geleistet haben.

In der zweiten Krawallnacht, die auf ihren Tod folgte, haben sich die Unruhen auf fünf weitere Gemeinden im Norden von Paris ausgedehnt. Offiziellen Angaben zufolge wurden dabei 82 Polizisten verletzt. Laut einem Notfallarzt haben die meisten Schussverletzungen. Aber kein einziger verletzter Jugendlicher sei im Krankenhaus.

In der Nacht auf Dienstag kämpfen kleine und mobile Gruppen von vermummten Jugendlichen mit Schusswaffen, Molotowcocktails und hasserfüllten Parolen fünf Stunden lang gegen insgesamt 1.600 Polizisten. Diese setzen Tränengas und Flashballs, also Weichgummmigeschosse, ein. Immer wieder zieht sich die Polizei zurück und überlässt sie den Jugendlichen das Schlachtfeld. Aus den Fenster schreien Anwohner. Abendliche Spätheimkehrer lassen sich von der Polizei in ihre Häuser eskortieren.

Am Morgen darauf meint der sozialistische Bürgermeister der Nachbargemeinde Sarcelles, François Pupponi, die Situation "dramatischer als im Herbst 2005". Natürlich sei die Gewalt "inakzeptabel", sagt er. Zugleich zeige der Hass auf die Polizei, wie groß das "Gefühl von Ablehnung" sei. Gegen Mittag kommt Premierminister François Fillon in das Rathaus von Villiers-le-Bel. "Wer auf Polizisten schießt, ist ein Krimineller", sagt er. Unterdessen lässt die Innenministerin Michèle Alliot-Marie wissen, dass sie die Polizeieinheiten weiter verstärken werde. Warum 1.600 Polizisten es nicht gelint, rund hundert Jugendliche unter Kontrolle zu bringen, erklärt sie allerdings nicht.

Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist zu dem Zeitpunkt in China. Er verurteilt die Gewalttaten aus der Ferne. An diesem Mittwochmorgen will er zunächst einen Polizisten im Krankenhaus besuchen, der mit Eisenstangen schwer am Kopf verletzt wurde. Dann empfängt er den Bürgermeister von Villiers-le-Bel empfangen, schließlich die Angehörigen der beiden jugendlichen Toten. Anschließend tritt er zu einer Konferenz mit einem kleinen "Sicherheitskabinett" zusammen - ein Stichwort, das an den Herbst 2005 erinnert. Damals hatte die Regierung nach mehreren Aufstandsnächten den Notstand verhängt.

In Villiers-le-Bel haben am Montag 250 Jugendliche einen Schweigemarsch veranstaltet. Mitten drin bitten Angehörige des 15-jährigen Moushin und des 16-jährigen Larami um "Gerechtigkeit". Sie möge "in Ruhe und Konzentration" geschehen, flehen sie. Bei einer improvisierten Pressekonferenz im Rathaus zeigen sich auch die aus Nord- und Schwarzafrika eingewanderten Väter der beiden Jungen kurz. Sie sagen kein Wort. Ihre Familien haben denselben Rechtsanwalt engagiert, der schon die Angehörigen der beiden 2005 in Clichy-sous-Bois umgekommenen Jungen gegen die Polizei verteidigt hat.

Auf den Straßen von Villiers-le-Bel rätseln am Dienstag Anwohner darüber, was zu tun ist, um den Ort wieder zu befrieden. "Ich bedauere die Mütter der beiden toten Jungen", sagt ein alter Mann vor der Moschee, "aber das hier ist sehr teuer für unsere Stadt".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • E
    Eisvogel

    Ich wette, nicht wenige von denen die ihren Frust jetzt wieder gewalttätig austoben, machen gleichzeitig auch im tagtäglichen Leben ihre Viertel zu Orten wo nur die Klientel "kräftiger heterosexueller junger Mann mit Bandenanschluß" einigermaßen was zu melden hat.

     

    Insofern sind diese Typen schon längst nicht mehr nur Sypmtom als das sie sich selber gefallen, sondern sie haben sich auf die ursächliche Ebene begeben.

     

    Wo es für normal arbeitende Jugendliche, für Mädchen, für nicht-Gangster, für normale kleine Geschäfte unmöglich gemacht wird, regulär zu existieren, besteht meist sowohl ein übergeordnetes soziales Problem, aber auch immer häufiger das Problem dummer, kurzsichtiger Männer die alles verjagen was die von ihnen selbst beklagten Zustände durchbrechen könnte:

     

    - es wird fehlende Bildung beklagt und fehlende Arbeit. Oftmals sind die ersten, die Speerspitze, hier junge Frauen, die in der Schule besser funktionieren und die eher bereit sind, sich statusfrei in Sch* Jobs zu verdingen um eine Familie zu ernähren. Genau diese Frauen aber, die sich außerhalb des Ghettos emanzipieren, werden von den jammernden Jungmachos als Huren zum Kuschen aufgefordert

     

    - es wird fehlende Rechtssicherheit beklagt. Gleichzeitig verfestigen diese jungen Männer durch ihr eigenes Handeln Klischees und verbitten sich auch herkömmliche Recht und Ordnung. Die Polizei hat in ihren Augen nichts in ihren Vierteln zu suchen.

     

    Diese Vorstädte und ihre Milieus haben ein Jungsproblem.