Bremen gegen Hamburg: Mobilisierte Kraftreserven
Bremen gewinnt - auch weil das Team sich besser vom Europacupspiel erholte als die Hamburger. Das Duell der Spielmacher fiel aus, weil van der Vaart als vordere Spitze agierte.
Minutenlang saß Huub Stevens allein vor der Presse und wartete auf Thomas Schaaf und Werders Mediendirektor. Irgendwann reichte ihm die peinliche Stille im Raum, und er übernahm selbst die Moderation. "Irgendwelche Fragen?" So flexibel wie der von ihr oft als Raubein gescholtene Coach war die Journalistenschar nicht. Sie wartete brav weiter auf den Moderator, der ihr Rederecht erteilen sollte.
Wenn das Geschehen auf dem Platz den gleichen autoritären Strukturen und taktischen Zwängen unterworfen gewesen wäre - das 87. Nordderby hätte nie diesen temporeichen und unterhaltsamen Verlauf genommen. Nach den kräftezehrenden Europa-Cup-Triumphen beider Clubs unter der Woche schien alles auf eine müde Rumpelnummer hinauszulaufen. Besonders die Bremer Anhänger fühlten sich durch die letzten Auftritte ihrer Mannschaft im Weserstadion gegen Karlsruhe und Real Madrid so reich beschenkt, dass ihnen der Wunsch nach einer weiteren Galavorstellung fast obszön vorgekommen wäre.
Werder Bremen: Vander - Pasanen, Mertesacker, Naldo, Tosic - Baumann (46. Hunt) - Vranjes, Jensen - Diego - Sanogo (87. Andreasen), Rosenberg (81. Klasnic)
Hamburger SV: Rost - Boateng, Reinhardt, Mathijsen, Atouba - Jarolim, de Jong (59. Kompany) - Demel (59. Castelen), Trochowski (69. Zidan) - van der Vaart - Olic
Schiedsrichter: Fandel (Kyllburg)
Zuschauer: 42.100 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Sanogo (15.), 1:1 van der Vaart (61.), 2:1 Pasanen (65.)
Gelbe Karten: Baumann (2) / Jarolim (5), de Jong (4), van der Vaart (2)
Aber das Duell der Bundesliga-Dinos hält eben immer wieder neue Überraschungen bereit. Nicht nur Klaus Allofs gab unumwunden zu, dass Siege gegen den Erzrivalen doppelt schön sind und der Kampf um die Vorherrschaft im Norden bei ihm zu erhöhter Adrenalinausschüttung führt. Von Beginn an vibrierte zwischen den beiden Fankurven die Luft und trieb die Akteure auf dem Spielfeld zu einem offenen Schlagabtausch an. Dabei waren die Bremer, die sich einen Tag länger erholen konnten, frischer und präziser in ihren Aktionen. Nicht nur beim 1:0 durch den Exhamburger Boubacar Sanogo lief der Ball wie am Faden gezogen durch die Hamburger Abwehr.
Nach dem Wechsel nahm das Spiel erneut eine überraschende Wende. Statt kraftlos einzubrechen, kam der HSV als die agilere Mannschaft aus der Kabine. Nach einer guten Stunde provozierte Ivica Olic, dem aufgrund seiner Laufleistung der Hacky-Wimmer-Preis gebührt, den Bremer Torwart Christian Vander zu einem präzisen Pass auf van der Vaart, den dieser zu einem lässigen Heber über den bemitleidenswerten Keeper verarbeitete.
Die Hoffnung der Hamburger, das zehnte Spiel hintereinander ungeschlagen zu überstehen, währte allerdings nur kurz. Bei einer abgefälschten Flanke von Petri Pasanen konnte Frank Rost auf dem tiefen Boden nicht schnell genug die Richtung wechseln und den Ball nur noch den letzten Stoß in den Winkel verpassen. In den verbleibenden 25 Minuten fehlte den Hamburgern dann tatsächlich die Kraft für eine erneute Wende. Das vorher groß angekündigte Duell der besten Spielmacher der Liga zwischen Diego und van der Vaart fiel aus, da der Holländer weitgehend als vordere Spitze agierte.
Dahinter steckte wohl der Plan, mit langen Bällen auf ihren torgefährlichsten Mann das Mittelfeld kräftesparend zu überbrücken. Allerdings wurde der "kleine Engel" durch diese Spielweise in ein Dutzend Kopfballduelle gegen "Laterne" Per Mertesacker gezwungen, von denen er kein einziges gewann.
Bei Werder bestätigten die "Ersatzspieler" Tosic, Pasanen, Jensen, Rosenberg und Vranjes die Leistung aus dem Spiel gegen Real Madrid. Sie werden es den immer noch verletzten sieben Stammspielern schwer machen, nahtlos ins Team zurückzukehren. Und auch im Sturm wird es wieder enger: 40.000 Bremer feierten in der 81. Minute die Einwechslung von Ivan Klasnic, der erstmals nach seiner Nierentransplantation wieder den Rasen des Weserstadion betrat. "Das ist ja Wahnsinn, wer bei uns vor einem Spiel alles in Privatklamotten rumläuft", stellte Mertesacker dann fest. "Das ist eine komplette Elf und darunter viele, die in den letzten Jahren hier das Team nach oben gebracht haben. Und alle wünschen einem Glück. Das schweißt zusammen." Wenn alle Verletzten wieder zurück sind und Ansprüche anmelden, wird sich zeigen, wie tragfähig der von Mertesacker beschworene Teamgeist wirklich ist.
Zum Thema Kleiderordnung hatten dann auch die Hamburger nach dem Spiel noch etwas zu sagen. "Ich würde mir wünschen, dass die Frack-und-Schlips-Träger da oben es mal anders machen", sagte Frank Rost zu der Ansetzung des Spiels nur 43 Stunden nach dem Uefa-Cup-Einsatz und erhielt Unterstützung von seinem Trainer: "Wie sagte Oliver Kahn: Krawattenträger entscheiden." Kurzhosen aller Clubs, schließt euch zusammen!
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