piwik no script img

Getötete Kinder in DarrryWahnideen der Mutter nicht beachtet

Der Vater der getöteten Jungs aus Darry hatte einem Psychiater eine Kassette mit wahnhaften Äußerungen seiner Frau zukommen lassen. Doch der Arzt hatte kein Abspielgerät.

Beim Hausbesuch keine Gefahr für die Kinder erkannt: Tatort in Darry Bild: reuters

Der Vater der fünf getöteten Jungs aus dem schleswig-holsteinischen Darry, Michael K., hat Vorwürfe gegen die Behörden und den Psychiater seiner Ehefrau erhoben. Demnach ist der Psychiater der Klinik Preetz, John. L., den Warnungen des Ehemannes nicht sorgfältig genug nachgegangen. K. hatte sich beim Berliner Tagesspiegel gemeldet und seine Version der Geschichte erzählt.

Michael K. ist der Ehemann von Steffi K., die gestanden hat, in der vergangenen Woche ihre fünf Söhne getötet zu haben. Die 31-Jährige befindet sich in der Psychiatrie, wird des Mordes angeklagt, gilt aber laut Staatsanwaltschaft als "schuldunfähig".

Wie Michael K. der Zeitung schilderte, habe er sich bereits im Sommer dieses Jahres an den Sozialpsychiatrischen Dienst im Landkreis Plön gewandt und über Wahnvorstellungen seiner Frau berichtet. Die Leiterin des Dienstes, Petra Ochel, erschien daraufhin am 16. August bei der siebenköpfigen Familie zum Hausbesuch. Bei dem Hausbesuch erkannte Ochel keine Gefahr für die Kinder.

K. hatte die wahnhaften Äußerungen seiner Frau zuvor heimlich auf ein Diktiergerät aufgenommen. Steffi K. habe davon gesprochen, "dass sie ein Medium sei, dass sie mit Toten sprechen kann. Und mit Gott. Und sie hat gesagt, dass die Kinder von Dämonen besessen sind", schilderte K. der Zeitung. K. bat die Sozialpsychiaterin Ochel, die Kassette dem Psychiater John L. an der Klinik Preetz zu übergeben.

Ochel hörte das mitgenommene Band nicht selbst ab, sondern gab es weiter an die Klinik Preetz. Aber auch dort hörte sich der Psychiater die Kassette nicht an. Wie ein Kliniksprecher dem Tagesspiegel erklärte, habe L. kein geeignetes Abspielgerät gehabt. Auch zähle für einen Therapeuten das direkte Gespräch, nicht eine Aufnahme aus der Vergangenheit, so der Sprecher. Psychiater John L. sprach Steffi K. aber am nächsten Tag, dem 17. August, persönlich. Auch er erkannte keine "akute Gefährdung".

Ende November erschien Steffi K. freiwillig in der psychiatrischen Ambulanz in Preetz. Der Dienst habende Arzt erkannte wiederum keinen Grund für eine zwangsweise Unterbringung. Ob sich Steffi K. zu diesem Zeitpunkt überhaupt in medikamentösen Behandlung befand, dazu gab die Klinik auf Anfrage keine Auskunft.

Am Dienstag, dem 4. Dezember, kaufte Steffi K. eine Zugfahrkarte für ihren Mann und schickte ihn für einige Tage zu Besuch von Freunden nach Berlin. Dann betäubte und erstickte sie ihre fünf Söhne.

Hätten die Psychiater in der Klinik Preetz die Gewalttat vorausahnen können? Gewalttaten von Menschen in akuten Psychosen, die in der Vergangenheit nicht bereits aufgefallen seien, könne man nur schwer voraussagen, erklärte auf Anfrage der taz der Forensikexperte Christian Luckhaus von den Rheinischen Kliniken in Düsseldorf. "Es ist schwierig, das Risiko einzuschätzen, wenn es nicht bereits eine Krankheitshistorie gibt", so Luckhaus. Im Anfangsstadium einer Psychose könnte die Symptomatik auch "fluktuieren" und sogar "stundenweise wieder abflauen". K. hatte der Zeitung erzählt, seine Frau hätte "blitzschnell" auf ein normales Verhalten umschalten können, "sobald andere Leute dazukamen".

Psychiater können laut Gesetz einen Patienten nur dann zwangseinweisen lassen, wenn eine Eigen- oder Fremdgefährdung besteht. Dies könne etwa der Fall sein, wenn ein Patient angebe, Stimmen zu hören, die ihm eine Gewalttat befehlen, erläuterte Luckhaus. Laut Statistik erkranken in Deutschland 0,5 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens zumindest einmal an Schizophrenie. Im Verhältnis zu psychisch kranken, straffällig gewordenen Männern stellen inhaftierte schizophren erkrankte Frauen jedoch eine Minderheit dar. Wie Luckhaus berichtet, waren etwa 2002 in Westdeutschland und Berlin von 60.000 Inhaftierten nur 4.366 in der forensischen Psychiatrie. Davon wiederum waren nur 241 Frauen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!