Milch-Mangel in Venezuela: Jede Menge Erdöl, zu wenig zu Essen
In Venezuela gibt es immer mehr Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Besonders an Zucker und Milch mangelt es. Chávez fordert gerechte Verteilung der Nahrung.
PORTO ALEGRE taz Hugo Chávez hat erste Konsequenzen aus dem verlorenen Referendum im Dezember gezogen, bei dem ihm Millionen früherer Wähler die Gefolgschaft verweigert hatten. 2008 erklärte er zum "Jahr der drei R" in Venezuela: "revisión, rectificación, reimpulso" (Revision, Korrektur, Neuantrieb). Vor allem will er das Reformtempo "auf dem Weg zum Sozialismus" drosseln. In seiner Regierungserklärung vor 14 Tagen räumte der Präsident ein, dass die Widersprüche zwischen seinem eigenen Diskurs und der "Wirklichkeit schlechter Regierungsaktionen oder schlechter politischer Praxis" zu Unbehagen in der Bevölkerung geführt hätten und fügte hinzu: "Die höchste Aufgabe unserer Revolution ist es, die alltäglichen Probleme unseres Volkes zu lösen."
Die Engpässe bei der Lebensmittelversorgung stehen dabei ganz oben auf der Agenda. In seiner letzten TV-Show "Aló Presidente" eröffnete Chávez eine agroindustrielle Großanlage im Bundesstaat Zulia und versprach: "Wir werden Venezuela in eine echte Supermacht bei der Nahrungsmittelproduktion verwandeln." Eine Woche vorher beschwor er die Erringung der "Lebensmittelsouveränität".
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zwar verteilte die Regierung 2007 erneut 1,3 Millionen Tonnen Lebensmittel über die hoch subventionierten Mercal-Supermärkte oder kurzfristig angesetzte "Megamärkte" unter freiem Himmel. Das Problem dabei: Während die Nachfrage wegen zunehmender Kaufkraft der armen VenezolanerInnen um fast ein Fünftel stieg, lag der Zuwachs bei der Produktion nur bei 9 Prozent. Besonders groß sind die Engpässe bei Zucker und Milchpulver.
Einer spürbar höheren Inlandsproduktion stehen die vor fünf Jahren eingeführten Festpreise für viele Lebensmittel entgegen. Für die Produzenten lohnt es sich schlichtweg nicht mehr, manche Güter herzustellen. Zudem beschränken private Unternehmer auch in der Landwirtschaft wegen Angst vor Enteignungen oder anderen ihre Investitionen auf ein Minimum. Ineffizient wirtschaftende Genossenschaften oder Staatsbetriebe können dieses Defizit nicht wettmachen. Die 2007 gegründeten "sozialistischen" Unternehmen, die dem Landwirtschaftsministerium zugeordnet sind, sind gerade für 1,5 Prozent der Produktion verantwortlich.
Insgesamt wird ein Fünftel sämtlicher Lebensmittel von staatliche Stellen verkauft, doch 70 Prozent davon war im letzten Jahr Importware. Daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern, räumte Landwirtschaftsminister Elías Jaua ein: "Venezuela hat genügend Devisen." Der Soziologe Edgardo Lander umreißt das Dilemma so: "Die Regierung hat viele Ölmillionen in die endogene Entwicklung gesteckt, aber mit den billigen Importen kann diese Produktion einfach nicht konkurrieren."
Chávez warb vorgestern für "höhere Effizienz" bei der Nahrungsmittelverteilung, "ohne Spekulation oder Ausbeutung der Arbeiter". Eine Rückkehr zur "kapitalistischen Logik" schloss er aus, nicht aber baldige Preiserhöhungen.
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