piwik no script img

Alltag im Gaza-StreifenFetakäse und eine Mortadella

Die palästinensische Familie al-Abed aus Rafah nutzt die offene Grenze zu einem Kurzbesuch in Ägypten. Kaufen kann sie nicht viel, doch es ist eine Chance, dem Gaza-Alltag kurze Zeit zu entkommen.

Weiterhin stetes Treiben an der Grenze zu Ägypten. Bild: dpa

Ob die Grenze zu Ägypten offen bleibt? Für die palästinensische Familie al-Abed in Rafah im südlichen Gazastreifen macht das keinen großen Unterschied. Die Familie kann von ihrem Haus in Block O im Flüchtlingslager Dschibneh den zerstörten ägyptischen Grenzwall fast sehen. "Wir haben einfach kein Geld, um da drüben einzukaufen", erzählt die Hausherrin Asisa und zeigt in Richtung der nur wenige hundert Meter entfernten Grenze.

Sie steht in einem Haus, wie es im palästinensischen Rafah hunderte gibt. Zu elft leben sie hier: zwei Zimmer, eine Küche ein Bad, ein Innenhof. Und der 40-jährige Nasr soll sie am Leben erhalten. Eigentlich arbeitet er als Zimmermann, aber seit letzten September hat er keinen Tag auf dem Bau verbracht, sagt er. Mit der monatelangen israelischen Blockade kommt kein Baumaterial in den Gazastreifen.

Der Rest der Rechnung ist einfach. Kein Baumaterial, keine Arbeit für Nasr, kein Einkommen für die Familie. Sein eigenes Haus sieht wie eine Baustelle aus. Überall fällt der Putz von den Wänden. An einer Stelle ist das Dach weggeknickt. "Als die Hamas letzte Woche den Grenzwall gesprengt hat, brach von der Druckwelle ein Stück des Daches weg und der Sand rieselte auf unsere Decken", erinnert sich Asisa, während sie versucht das kalte Regenwasser im Innenhof des Hauses wegzukehren.

Dann kommt ihre älteste Tochter Jasmin und fragt, ob sie ein wenig Geld haben kann. Sie wolle zur Universität nach Gaza-Stadt fahren, wo sie englische Literatur studiert. Jasmin ist der ganze Stolz der al-Abeds, mit ihrem guten Abitur hat sie ein Stipendium bekommen, aber selbst das reicht oft nicht aus. "Es gibt Tage, da haben wir nicht genug Fahrgeld zusammengebracht, damit ich zur Prüfung fahren kann", erzählt Jasmin.

Das Elend der Familie hat sich letzten Sommer verschlimmert, als Anhänger der islamistischen Hamas gegen ihre politischen Konkurrenten der Fatah, der Organisation des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas kämpften. Nach nur einer Woche Bürgerkrieg hatte die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen erlangt. Seitdem hat Hamas regelmäßig vom Gazastreifen aus Israel mit Raketen beschossen. Der Beschuss ist das israelische Argument, warum der schon zuvor schleppende Warenverkehr in den Gazastreifen durch eine israelische Blockade praktisch zum Stillstand gebracht wurde.

Am anderen südlichen Ende des Gazastreifens, in der Küche der Abeds, sind die Auswirkungen deutlich. Asisa betreibt hier Mangelverwaltung. Manchmal hat sie kein Kochgas, manchmal kein Öl. Durch die Blockade und das dadurch fehlende Einkommen mangelt es der Familie an allem. Asisa versucht das Beste daraus zu machen. "Wenn mir das Kochgas ausgeht, dann hole ich Holz und mache damit ein Feuer zum Kochen oder um Tee zu machen", erklärt sie. Was immer passiere, die Älteren seien nicht das Problem, die könnten das aushalten und verstünden, woher das Problem komme. "Aber", sagt Asisa, die trotz allem das Strahlen in ihren Augen nicht verloren hat, "die Kinder fragen immer wieder, warum es dies oder jenes nicht gibt."

Israel habe das Recht, sich gegen die Raketen zu verteidigen, sagt Joe Stork, Nahostdirektor der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Doch das rechtfertige nicht eine Blockade, die Zivilisten Essen, Treibstoff und Medizin verweigere. "Das ist eine Politik der kollektiven Bestrafung."

Die Abeds sind ein gutes Beispiel dafür, was Stork meint. Denn hier trifft es die Falschen. Die Abeds sind Anhänger der Fatah. An der Wand hängt ein Kalenderblatt mit dem Foto Jassir Arafats und des jetzigen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas. Der 18-jährige Sohn schleppt sich auf Krücken voran. Hamas-Kämpfer haben ihm vor ein paar Wochen in den Fuß geschossen. Sie wollten einen der Nachbarn verhaften, und als das halbe Viertel zusammengelaufen kam, schossen sie wild um sich. Seitdem hängt Muhammads Fuß leblos herunter. Die Krankenhäuser in Gaza arbeiten wegen der Blockade nur für absolute Notfälle. Eine langfristige Behandlung kann sich die Familie ohnehin nicht leisten.

An diesem Morgen machen sich Nasr und Asisa doch ins benachbarte Ägypten auf. Mehr als 700.000 Palästinenser, also jeder zweite Bewohner Gazas, waren schon in dem ägyptischen Teil der Grenzstadt Rafah. Asisa wollte so lange warten, bis sie wenigstens genug Geld zusammenhatte, um etwas für die Kinder einkaufen zu können.

Es regnet in Strömen, als Nasr und Asisa vorsichtig über die Reste des Grenzzaunes steigen. Nach einem weiteren Schritt sind die Palästinenser in Ägypten. Fasziniert laufen sie durch die Straßen. Die haben sich in den letzten Tagen in einen riesigen Jahrmarkt verwandelt. Jedoch sind die Läden an diesem Tag schon etwas leerer, da die ägyptische Polizei den Warenverkehr über den Suezkanal ins nördliche Sinai zurückhält - in der Hoffnung, dass weniger Palästinenser herüberkommen.

Doch selbst an diesem Tag herrscht ein buntes Treiben auf dem ägyptischen Markt. Immer wieder muss man aufpassen, in der Menge nicht über irgendwelche Schafe zu stolpern, die die neuen Besitzer hinter sich herziehen. Nur von den Kamelen halten alle gebührenden Abstand. Nichts kann die Leute hindern, auch nicht, dass sie an vielen Stellen durch fast knöcheltiefen lehmigen Schlamm waten.

Immer wieder überlegen Asisa und ihr Mann, was sie sich leisten können. Zwischendrin trifft Nasr alte Bekannte von der anderen Seite und berät sich mit ihnen, was wo wie viel kostet. Die Ägypter verlangten schon von den ersten Tagen an überhöhte Preise von den Palästinensern. Dass jetzt die Waren auch noch knapp geworden sind, macht die Lage nicht besser.

"Wie bitte?", fragt Nasr einen ägyptischen Beduinen, der Zigaretten verkauft. "Das wird ja immer teurer - nein, vielen Dank", winkt er ab. "Es ist toll, endlich hier zu sein", sagt Asisa. "Einfach so über die Grenze zu gehen und ein wenig Freiheit zu schnuppern. "Aber alles ist sehr teuer. Vieles kann ich nicht kaufen", fügt sie hinzu. Die Ägypter sollten die Preise nicht so erhöhen und die Lage der Menschen unter der israelischen Blockade nicht ausnutzen, beschwert sie sich.

Einer der ägyptischen Verkäufer, der mitgehört hat, echauffiert sich. "Wir Ägypter in Rafah müssen dieselben Preise zahlen. Die Preise für Benzin haben sich verfünffacht, wenn überhaupt noch welches zu finden ist", klagt er. "Die Ägypter im Nordsinai leben inzwischen genau wie die Palästinenser unter einer Blockade. Es ist fast so, als leben wir unter Besatzung", sagt er und zieht seines Weges. Für ein paar Kleinigkeiten reicht es am Ende für die al-Abeds doch noch. Sie machen sich wieder auf den Weg zurück über die Grenzbefestigung. Dann kehren sie über eine Dünen- und Schuttlandschaft zurück zu ihrem Haus. Einst lag hier ein israelischer Militärposten und es gab tägliche Spannungen. Vor ein paar Jahren kamen israelische Bulldozer und schufen eine Pufferzone zur ägyptischen Grenze, indem sie hunderte palästinensischer Häuser dem Erdboden gleichmachten. Im Jahr 2005 zog die israelische Armee ganz ab. Nur ein paar Häuserruinen sind übrig geblieben.

Zu Hause warten die Kinder schon. Asisa wirkt glücklich, als sie ein halbes Kilo ägyptischer Mandeln unter ihnen verteilt. Dann bringt sie den Rest der Einkäufe in die Küche. Zwei Packungen Fetakäse und eine Mortadellawurst. Nasr sinniert über die Zukunft seiner Familie. Die sei schwarz, meint er. Keiner wisse, wie es weitergehen soll. "Es ist keine Hoffnung am Horizont", sagt er. Das Wichtigste wäre, Arbeit zu finden. "Wir brauchen politische Veränderung."

Doch woher soll die kommen? Nasr erwartet weder von den palästinensischen Parteien noch von Israel eine Lösung. Die Palästinenser, sagt er, seien in Machtkämpfe verstrickt. Israel würde den Palästinensern niemals freiwillig ihre Rechte zugestehen.

Dann analysiert der palästinensische Zimmermann den Nahostkonflikt auf seine Weise: "Israelis sind Menschen wie wir. Es ist ihr Recht, in Würde zu leben, aber nicht auf Kosten unserer Würde." Die Palästinenser hätten ein Recht auf ihr eigenes Land. "Sie haben uns diese Realität hier aufgezwungen", sagt er. "Ohne einen palästinensischen Staat wird es keine Lösung geben", prophezeit er. "Wenn die Israelis in Würde und Frieden leben wollen, dann müssen sie auch uns unseren Frieden und unsere Würde geben. Wenn sie uns respektieren, werden wir sie respektieren", sagt er und fragt: "Oder ist der Sohn eines Israelis mehr wert als mein Sohn?"

Jetzt wartet der ganze Gazastreifen darauf, was als nächstes passieren wird. Skeptisch blickt Nasr in Richtung Kairo, wo die ägyptische Regierung versucht, zwischen Hamas und dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas zu vermitteln. "Hätten sie gute Absichten, hätten sich die beiden schon geeinigt", glaubt Nasr. Aber wenn es nicht bald zu einer Einigung komme, werden sowohl Hamas als auch Fatah an Popularität verlieren.

Und in Rafah selbst? Dort haben die Ägypter begonnen, die Grenzbefestigungen wieder herzustellen. Pioniere der ägyptischen Armee schweißen Stahlträger wieder zusammen und ziehen neuen Stacheldraht. Nur das "Tor Saladins", direkt an der Hauptstraße, die quer durch den Gazastreifen führt, haben sie offen gelassen. Es könnte Nasrs und Asisas letzter Besuch in Ägypten gewesen sein. Doch für heute ist das Problem gelöst. Asisa schneidet die Mortadella an und löffelt den Fetakäse in eine Schüssel. Die bescheidene Ausbeute eines kurzen Ausbruchs aus dem Gazastreifen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!