: Wenn Apothekerinnen an der Pille drehen
DO IT YOURSELF Längst hat die Idee der Homöopathie in der Filialwelt klassischer Apotheken Fuß gefasst. Viele hundert Apotheker haben sich in Sachen Naturpräparate weiterbilden lassen. Einige stellen die Tinkturen und Globuli sogar in Eigenregie her
VON CHRISTOPH RASCH
Ihren Weg zur Homöopathie fand Brita Gudjons über ein profanes Laster: „Mitte der 70er Jahre war ich starke Raucherin und wurde durch die Einnahme zahlreicher Antibiotika sehr krank“, erzählt die gelernte Apothekerin, die damals in Frankfurt am Main am Anfang ihrer Karriere stand. In der Folge suchte sie auf zahlreichen Fortbildungen und Seminaren der alternativen Szene nach „sanfteren Arzneimitteln“ – und stieß dabei auf die Lehre Samuel Hahnemanns, die Homöopathie, der sie bis heute treu blieb.
Inzwischen führt Brita Gudjons nicht nur eine homöopathisch ausgerichtete Apotheke im bayerischen Stadtbergen nahe Augsburg, sondern auch ein eigenständiges Herstellungslabor für handgefertigte Arzneien nach Hahnemann. Beide, Apotheke und Labor, produzieren zusammengenommen rund 600 homöopathische Arzneimittel, die mit dem ebenfalls angeschlossenen Versandhandel jährlich an etwa 2.000 Ärzte und zwanzigtausend Privatkunden im In- und Ausland verschickt werden.
„Vor einigen Jahren waren es sogar noch viel mehr Präparate, die wir selbst hergestellt haben“, sagt die 71-Jährige heute. Doch die Regulierung sei auch für homöopathische Arzneimittel strenger geworden; so müssen Mittel aus Substanzen tierischer Herkunft – wie etwa Milch von Katzen, Hunden und anderen Tieren – beim Bundesgesundheitsamt registriert werden, berichtet Gudjons, die sich manchmal auch etwas erleichterte Produktionsvorgaben wünschen würde. Aber: „Für unsere kleinen Labore gelten dieselben Vorgaben wie für große industrielle Hersteller.“
Dass Apotheker in Deutschland homöopathische Präparate in Eigenregie produzieren, das gibt es immer öfter. Mehrere Dutzend dürften es bundesweit sein, die in der Filiale oder per Versand selbst gefertigte Globuli oder potenzierte Tinkturen anbieten. Kein Wunder: Das Geschäft mit den Naturheilmitteln ist durchaus umsatzstark, weiß der Bundesverband der Arzneimittelhersteller: Die Verbraucher gaben allein 2011 etwa 5 Milliarden Euro für rezeptfreie pflanzliche und homöopathische Arzneimittel in Apotheken aus. Gefragt waren vor allem Mittel gegen Erkältungen und zur Anregung von Herz, Kreislauf und Verdauung.
Fast 95 Prozent der von Brita Gudjons und ihren 25 Mitarbeitern hergestellten und verkauften Arzneien wurden zuvor von einem homöopathischen Arzt verordnet – der Rest wird nach persönlichen Beratungen in der Apotheke abgegeben. Aber: Eine Konkurrenz zu ihren ärztlichen Kollegen wollen die Apotheker damit nicht aufbauen – im Gegenteil: „Wir arbeiten Hand in Hand“, sagt Brita Gudjons, „und in komplizierten Fälle und bei chronischen Krankheiten verweisen wir die Patienten an einen Arzt.“
Die Beratung kann auch nicht gleichwertig mit der eines homöopathischen Mediziners sein, sagt Brita Gudjons: „Der Arzt fragt in oft mehrstündigen Gesprächen sämtliche Beschwerden des Patienten ab; das können wir im laufenden Apothekenbetrieb zeitlich gar nicht leisten.“ Dennoch bieten Gudjons Mitarbeiter ausführliche – und ab 20 Minuten auch kostenpflichtige – Beratungen an, in denen mehrere Symptome erfasst werden. „In den meisten Fällen wird dann eine Arznei nach der bewährten Indikation gegeben“, sagt Gudjons.
Und die Kostenübernahme? Die Homöopathie ist zwar keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, doch rund 90 Krankenkassen ermöglichen ihren Versicherten inzwischen die gezielte Versorgung mit homöopathischen Präparaten. „Mit rund 3.000 Apotheken haben diese Kassen dazu Verträge abgeschlossen, im Rahmen deren die Kosten erstattet werden“, erklärt Christoph Trapp vom ebenfalls beteiligten Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte.
Die Apothekerbranche hat sich der Homöopathie schon vor Jahren geöffnet, auch um kompetente Beratungen auf diesem Feld anbieten zu können. Laut den Zahlen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) haben bereits rund 1.800 eine intensive berufsbegleitende Weiterbildung in diesem Bereich absolviert.
Allerdings: Seit einigen Jahren lässt die Nachfrage nach diesen Weiterbildungen nach, sagt Christoph Trapp. Und auch Brita Gudjons hat den Eindruck, dass bei der jüngeren Apothekergeneration das Interesse an Homöopathie etwas nachlässt. Sie bietet seit Jahren Seminare für Therapeuten an, die in Sachen Arzneiherstellung Erfahrungen sammeln wollen. Auf dem Programm steht etwa ein „Verreibe-Seminar“. Darin, erzählt sie, lernten die Teilnehmer nicht nur, Grundstoffe wie Austernschalenkalk mit Mörser und Stößel fachgerecht zu bearbeiten, sondern auch, die Wirkung der verwendeten Substanzen bereits im Herstellungsprozess zu erspüren – nicht durch Einnahme, sondern allein durch das Verarbeiten des Stoffs: „Etwa jeder zehnte Kursteilnehmer erlebt dabei tatsächlich Symptome oder erhält andere Informationen des Rohstoffs“, sagt Brita Gudjons.
■ Informationen über Krankenkassenerstattungen und Fortbildungen für Apotheker finden sich unter www.welt-der-homoeopathie.de
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