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Kommentar Online-DurchsuchungDas Verfassungsgericht geht zu weit

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

In der Sache bekommt Innenminister Schäuble vom Verfassungsgericht, was er wollte. Doch nicht alles, was verfassungsrechtlich möglich ist, muss man umsetzen.

D as neue Grundrecht ist hübsch und wird dem modernen Menschen gerecht. Das Recht auf den unangetasteten Computer passt gut zu uns Menschmaschinen, die wir nicht mehr ohne Laptop das Haus verlassen und unsere Computerfestplatte als integrierten Teil unserer Persönlichkeit betrachten.

Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.

Aber natürlich wird es auch Eingriffe in das neue Grundrecht geben. Karlsruhe hat sie gestern ausdrücklich zugelassen. Onlinedurchsuchungen sind zur Abwehr konkreter Terrorgefahren künftig möglich. Das ist die politische Wirkung des Urteils. In der Sache bekommt Innenminister Wolfgang Schäuble also weitgehend das, was er wollte. Seinen Gesetzentwurf muss er nicht wesentlich umschreiben. Die Kläger um FDP-Mann Gerhart Baum dürfen sich nur freuen, dass sie das maßlos formulierte NRW-Gesetz gestoppt haben. Aber das war nun wirklich keine Überraschung.

Doch nicht alles, was verfassungsrechtlich gerade noch möglich ist, muss man auch umsetzen. Für eine bürgerrechtliche Debatte ist es nicht zu spät. Nach wie vor gibt es keine zwingenden Argumente, dass die Polizei den heimlichen Zugriff auf Computerfestplatten braucht. Für eine wirksame Terrorabwehr würde es genügen, dass sie E-Mail-Verkehr und Telefonate auch überwachen kann, wenn diese verschlüsselt im Internet geführt werden. Das war bisher die Linie von Justizministerin Brigitte Zypries. Mal sehen, ob sie weiterhin daran festhält.

Zwar waren gestern alle mit dem Karlsruher Urteil zufrieden. Rechtlich hat sich das Gericht aber sehr weit vorgewagt. Es tut zwar so, als hätte es nur ein schickes neues Unterkapitel für das altbekannte Persönlichkeitsrecht präsentiert. Vielmehr ist an diesem Grundrecht aber alles neu und anders, als es im Grundgesetz steht. Für präventive Eingriffe in Computer sind die Hürden künftig höher als bisher. Für Computer, die zu Hause stehen, wurden im Gegenzug die teilweise strengeren Restriktionen aus der "Unverletzlichkeit der Wohnung" ausgehebelt.

Das geht zu weit. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, die Grundrechte des Grundgesetzes auszulegen und zu wahren, aber nicht, neue zu erfinden.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

7 Kommentare

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  • AW
    Au Weia

    Hoppla, ich lese hier:

    "Nach wie vor gibt es keine zwingenden Argumente, dass die Polizei den heimlichen Zugriff auf Computerfestplatten braucht. Für eine wirksame Terrorabwehr würde es genügen, dass sie E-Mail-Verkehr und Telefonate auch überwachen kann, wenn diese verschlüsselt im Internet geführt werden."

    Dann darf uns der Herr Rath gerne mal im vertraulichen Gespräch erklären wie die Polizei sonst die verschlüsselte Kommunikation knacken will. Und das kann er auch gleich dem BKA, BND, CCC etc. miterklären, denn die wissen das nämlich auch nicht - zumindest wenn die Ganoven nicht ganz doof sind und Verschlüsselungsverfahren nutzen, die die genannten Hackergruppen bislang eben noch nicht knacken konnten.

    Und das, lieber Herr Rath ist der Grund, warum die Polente direkt den Rechner verwanzen bzw. belauschen will, damit sie die Daten noch vor dem verschlüsseln bzw. nach dem entschlüsseln begucken kann. Das hat Onkel Schäuble übrigens mehrmals laut & deutlich erklärt (und dabei nur unterschlagen, dass sich auch diese Lausch- und Wanztechnik von schlauen Ganoven mit etwas Mehraufwand austricksen lässt).

    Also entweder hat der Autor hier nicht aufgepasst - oder er ist schlauer als die Polizei erlaubt.

  • TA
    Tom Ackermann

    Das sog. Computergrundrecht ist kein neu erfundenes Grundrecht, sondern eine konsequente Weiterentwicklung des bestehenden Grundrechtekatalogs. Das BVerfG geht hier nicht zu weit, sondern schafft Rechtssicherheit und einen weiteren Beitrag zur Stärkung der nach dem 11.09. so notwendigen Verteidigung der Bürgerrechte.

  • RA
    Rajko Albrecht

    Rechtsfortbildung geht zu weit? Übertragen des grundsätzlichen Uranspruches des GG auf moderne Zeiten ist ein Ding der Unmöglickeit?

     

    Ich glaube, gerade weil es dieses "Grundrecht auf digitale Intimsphäre" (Zitat CCC) erschaffen bzw. einfach nur ausformuliert hat, hat das Gericht das GG in sehr notwendiger Weise interpretiert, weiterentwickelt und gegen hyperventilierende Politiker verteidigt. Ein Gesetz - gerade auch ein GG - hat auch einen Grundgedanken. Und auch darüber hat das Verfassungsgericht zu urteilen.

     

    Langsam glaub ich allderings auch, dass einige hier für die falsche Zeitung schreiben.

  • AZ
    André Zschoge

    Liebe Herren Vorredner,

     

    mitnichten kritisiert Herr Rath die Festlegung hoher Hürden für Onlinedurchsuchungen. Im Gegenteil. Er weist darauf hin, dass für Privat-PCs auf Grundlage der "Unverletzlichkeit der Wohnung" strengere Regeln hätten formuliert werden sollen.

     

    Vielleicht den Artikel einfach nochmal lesen.

  • AZ
    André Zschoge

    Vielleicht nochmal zum Nachlesen! Im Artikel steht: "...Für Computer, die zu Hause stehen, wurden im Gegenzug die teilweise strengeren Restriktionen aus der 'Unverletzlichkeit der Wohnung' ausgehebelt. DAS geht zuweit."

     

    Herr Rath kritisiert also nicht die durch das Karlsruher Urteil erschwerten Bedingungen für eine Onlinedurchsuchung, sondern weist vielmehr darauf hin, dass für Privat-PCs auf Grundlage der "Unverletzlichkeit der Wohnung" noch strengere Grenzen hätten festgelegt werden können. Entweder das, oder ich habe den Artikel falsch verstanden.

  • MS
    Martin Schröder

    Wie bitte? Das BVerfG geht zu weit? Es darf keine neuen Grundrechte erfinden? Das Volkszählungsurteil war also auch schon falsch?

     

    Nur nochmal zur Erinnerung: Der Bundestag hat hier versagt. Bundestagsabgeordnete der SPD haben wissentlich einem verfassungswidrigen Gesetz (Vorratsdatenspeicherung) zugestimmt; beim

    Bundestrojaner war dasselbe zu erwarten.

     

    Lieber Christian, schreib doch bitte in Zukunft für eine andere Zeitung. Die taz will links sein, und das schließt den Schutz von Freiheitsrechten (auch vor dem Bundestag) ein.

     

    Liebe Redaktion, überlegt euch bitte nochmal ganz deutlich, ob ihr wirklich bei dem Kampf gegen die Stasi 2.0 (Bundestrojaner, Vorratsdatenspeicherung usw.) auf der Seite von Schäuble et.al. oder

    der von Baum und Twister stehen wollt. Christian steht eher auf Schäubles Seite, und damit ist er hier bei der falschen Zeitung.

  • RW
    Reiner Wille

    Die "Erfindung" von Grundrechten durch das Bundesverfassungsgericht ist eine durchaus als positiv zu bewertende Rechtsfortbildung des höchsten deutschen Gerichtes. Man denke z.B. an das "Grundrecht auf Resozialisierungsgewährung", das der parlamentarische Rat anno 1949 ebenfalls nicht explizit in Papierform niedergelegt hat. Möchte Herr Rath auch diesbezüglich äußern, dass das Bundesverfassungsgericht hiermit in der 70er-Jahren zu weit ging? Vermutlich nicht.