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Chinas Premier Wen beim VolkskongressMahnende Worte vor rosa Lilien

Premier Wen Jiabao spart in seiner Regierungserklärung nicht mit Kritik an Chinas Lage und verspricht Schulbildung und Krankenversicherung für alle.

Rosarote Lilien - ein Symbol für das Vergessen aller Sorgen. Bild: dpa

PEKING taz Um Punkt neun Uhr morgens hebt Premier Wen Jiabao zu seiner Regierungserklärung vor dem Nationalen Volkskongress in Peking an. Der Kongress tagt nur einmal im Jahr, ist ein Erfüllungsorgan der Kommunistischen Partei, aber dennoch das wichtigste öffentliche politische Ereignis des Jahres in China. Wen steht vor einem Bouquet rosaroter Lilien - ein Symbol für das Vergessen aller Sorgen.

Wens Rede umfasst in deutscher Übersetzung 71 Seiten. In ihr zeichnet er meist jenseits der üblichen Parteisprüche ein detailversessenes, krisenbetontes Bild der chinesischen Lage. Er spricht von der Überhitzungsgefahr der Wirtschaft trotz weltweiter Rezessionsgefahr. Er warnt vor einer "bedeutenden Inflation". "Preissteigerungen sind die größte Sorge des Volkes", sagt er. Tatsächlich erreichte die Teuerungsrate im Januar 7,1 Prozent und damit ihren höchsten Stand seit elf Jahren. Er verspricht keine Besserung. "Der Druck auf die Preise wird andauern", sagt er. Hauptaufgabe der Regierung sei in diesem Jahr, dem Druck zu widerstehen.

Wen spricht von sozialen Problemen. Er fordert den Ausbau der Krankenversicherung auf dem Land, wo es sie bisher nicht gibt. Er verspricht kostenlose Schulbildung für alle. Er rechnet vor, dass 2008 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Er verlangt strikte Strafen gegen illegale Beschäftigung. Er will das Sozialversicherungssystem ausbauen. Nichts davon ist neu. Wen und Präsident Hu Jintao treten bei diesem Volkskongress ihre zweite fünfjährige Amtsperiode an. Seit fünf Jahren predigen sie ihr Konzept der "harmonischen Gesellschaft". Sie stellen Sozial- und Umweltpolitik in den Mittelpunkt. Aber die Probleme bleiben.

Der emeritierte Marxismus-Professor Shang Dewen, selbst KP-Mitglied, verbringt sein Rentenalter auf der tropischen Südseeinsel Hainan. Er sieht Wens Rede in einem Ferienappartement im Fernsehen. "In China herrscht jetzt Marktwirtschaft. Marktwirtschaft ist Kapitalismus. Jetzt zeigt der Kapitalismus seine böse Kraft", sagt Shang. Aus seiner Sicht kommt die KP dagegen nicht an. "Wen und Hu wollen etwas für die Bevölkerung tun. Aber die KP ist verkommen. Wer kann von einer Partei, die 60 Jahre regiert, Aufrichtigkeit und Frische erwarten?", sagt Shang. Frisch sind die Lilien, vor denen Wen spricht. GEORG BLUME

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