Kommentar: Wir-Gefühl gegen soziale Spaltung
Mit dem Fokus auf das Wir-Gefühl der Berliner hat der rot-rote Senat mit der Kampagne "be berlin" eingeräumt, wie groß die Probleme sind.
Dass der neue Slogan "be Berlin" - "sei Berlin" lauten würde, haben einige Medien ja schon vor der gestrigen Präsentation erfahren. Entsprechen hämisch waren die Kommentare "Be Hartz IV" meinte der eine, "be unemployed" der andere. So ist das mit Imagekampagnen. Sie sind Plattformen, die von allen genutzt werden. Gut so.
Dass sich die Imagekampagne zunächst an die Berliner selbst richten würde, war die eigentliche Überraschung des gestrigen Tages. Statt guter Laune verbreitete ein sichtlich übermüdeter Regierender Bürgermeister auch die unangenehmen Wahrheiten - vom Auseinanderfallen der Quartiere bis zur zunehmenden sozialen Spaltung. Fast hätte man meinen können, einen Quartiersmanager reden zu hören. Aber vielleicht ist "be Berlin" das ja auch: ein großer Appell ans Wir-Gefühl, damit die Verlierer nicht irgendwann ihre Quartiere zerlegen wie die Jugendlichen in der Pariser Banlieue.
Natürlich kann man fragen, ob die zehn Millionen nicht besser bei Konfliktmanagern oder in der Wirtschaftsförderung angelegt wären. Gerade aber das Beispiel Quartiersmanagement zeigt, wie wichtig der Mitmachfaktor ist, auf den "be Berlin" zielt. Die Geschichten, die die Schüler der Rütli-Schule auf den Plakatwänden, aber auch die Berliner im Internet erzählen werden, sind nicht nur Erfolgsgeschichten, auf die Marketingleute so stehen. Sie zeigen tatsächlich, dass in dieser Stadt vieles, auch Ungeahntes möglich ist. Sie sind, wenn man so will, die Summe des Potenzials, das in dieser Stadt schlummert. In Mitte, in Marzahn, in Neukölln.
Mit dem Fokus auf das Wir-Gefühl der Berliner hat der rot-rote Senat indirekt aber auch eingeräumt, wie groß die Probleme sind - nicht nur beim Auseinanderfallen der Quartiere. Seit der Wende haben 1,7 Millionen Berliner die Stadt verlassen. Auch deren Geschichten gehören zu dieser Stadt. Und mit ihnen die wenig launige Botschaft: "Ive been Berlin."
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