piwik no script img

Verbotsverfahren gegen türkische AKPAuf zum nächsten Gefecht

Die Mehrheit in der türkischen AKP vertraut auf die Unterstützung der Bevölkerung und will eher politisch als juristisch auf das Verbotsverfahren reagieren.

Die AKP tendiert dazu, ihre Anhänger zu mobilisieren: Türkische Frauen protestieren gegen das Verbotsverfahren. Bild: ap

ISTANBUL taz Die Türkei strebt mit Riesenschritten auf eine neue, schwere Krise zu. Am Montag entschied das Verfassungsgericht, den Antrag der Generalstaatsanwalts anzunehmen und ein Verbotsverfahren gegen die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) einzuleiten. Zentraler Vorwurf: "Versuch, das laizistische System abzuschaffen".

Verhandelt wird zudem darüber, ob 71 führende Parteimitglieder, darunter Ministerpräsident RecepTayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül, mit einem fünfjährigen Politikverbot belegt werden sollen. Gefasst wurde der Beschluss einstimmig, allein bei der Frage, ob auch ein politisches Betätigungsverbot für den Staatspräsidenten geprüft werden soll, stimmte eine Minderheit von vier Richtern dagegen. Damit befindet sich die Türkei in der beispiellosen Situation, dass vor dem höchsten Gericht des Landes über ein Verbot der Regierungspartei verhandelt wird.

Die AKP hat nun einen Monat Zeit, eine Erwiderung zu formulieren, zu der wiederum der Staatsanwalt Stellung nimmt. Das Ganze kann auf Antrag einer der beiden Seiten aber noch gestreckt werden, sodass das Verfahren sich leicht über einige Monate hinziehen kann.

Allerdings ist fraglich, ob diese Prozedur eingehalten wird. Seit Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya am 14. März seinen Verbotsantrag eingereicht hat, wird in der AKP darüber diskutiert, wie man auf ein Verbotsverfahren reagieren soll. Zuletzt wurden drei Möglichkeiten ins Spiel gebracht: erstens eine Verfassungsänderung, die Parteiverbote deutlich erschweren soll. Damit sind allerdings zwei Schwierigkeiten verbunden. Einmal würde die AKP dafür Stimmen aus der Opposition benötigen. Ob die rechtsradikale MHP, die bei der versuchten Verfassungsänderung zur Aufhebung des Kopftuchverbots gemeinsam mit der AKP gestimmt hatte, erneut eine Verfassungsänderung unterstützen würde, ist jedoch sehr fraglich. Zum zweiten ist es juristisch auch höchst umstritten, ob eine solche Verfassungsänderung in ein bereits laufendes Verfahren eingreifen könnte.

Überhaupt tendiert die AKP eher dazu, politisch statt juristisch zu antworten und ihre Anhänger zu mobilisieren - hat sie doch bei den vorgezogenen Neuwahlen im Sommer vergangenen Jahres 47 Prozent erzielt. Die AKP könnte eine Volksabstimmung gegen ein Parteiverbot durchführen oder erneute Neuwahlen anstreben. Dazu müsste sich die Partei unter anderem Namen neu gründen, um auf diese Weise das mögliche Verbot zu umgehen.

Bislang war nur eine Minderheit in der Partei dafür, sich der Entscheidung des Verfassungsgerichts zu beugen. Der Parteivorsitzende Erdogan hatte in den letzten Tagen den Ton der Debatte eher verschärft, als er den Richtern die Legitimität absprach, über die Verfassungsmäßigkeit einer Partei zu entscheiden, die mit einer solch großen Mehrheit gewählt wurde. Dieses Unterfangen, so meinte Erdogan, sei kein Angriff auf die AKP, sondern ein "Angriff auf das Volk".

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • K
    Kommentar

    Kopftuch = Islamist. Hm, interessant. Glatze = Nazi. Ja, das leuchtet auch ein. Aber was passiert, wenn ich irgendwann Krebs haben sollte und mir die Haare ausfallen? Dann wäre ich ja ein Nazi-Islamist! Oder heisst das Islamisten-Nazi? Spielt ja keine Rolle. Ich hätte dann meinen Kreis Gleichgesinnter auf einen Schlag verdoppelt. Ist das nicht herrlich? Ich könnte bei Al-Kaida Weiterbildungskurse belegen (Bombenbasteln und so) und bei der NPD könnte ich mich sportlich betätigen. Schwarze und andere Ausländer durch die Gassen jagen und Kampfsport betreiben. Naja, sonderlich sportlich ist es nicht zu fünft auf jemanden einzutreten, der schon auf dem Boden liegt. Aber macht doch nichts! Ich stell mir einfach vor, ich würde auf einen dieser vielen Idioten treten, die sich in solchen Foren nur tummeln und einen Scheisskommentar nach dem anderen schreiben. Was glaubt ihr eigentlich wer ihr seid? Denkt ihr, ihr seid ÜBERMENSCHEN? Und alle anderen sind nur niederer Abschaum auf den man verächtlich runter blicken kann? Nur weil einige wenige braune Schwachköpfe Anschläge auf Ausländer verübt, ganze Familien ausgelöscht haben und Menschenmassen johlend und gröhlend zugeschaut haben, als ein Wohnblock mit Ausländern in Flammen aufging, hat da die ganze Welt, allen voran die islamische Welt, alle Deutschen als Nazis beschimpft? Euch alle Mörder und Unmensch genannt? Nein! Haben sie nicht! Es war das Werk von einigen wenigen Kriminellen und Asozialen, die nicht die ganze Gesellschaft repräsentieren. Also woher nehmt ihr euch das Recht jeden religiösen Moslem in einen Topf mit Fundamentalisten und Terroristen zu werfen? Dann könnte man ja gleich behaupten alle Katholiken inklusive dem Papst seien pädophil. Nein! Ich bitte euch, hört auf mit diesem Schubladendenken! Als meine Eltern nach Europa kamen, hat meine Mutter ihr Kopftuch abgelegt und sich wie alle anderen Frauen gekleidet und die Haare gemacht. Erst als sie merkte, dass sie, egal ob sie sich äusserlich allen anpasst oder nicht, trotzdem nicht akzeptiert wurde, hat sie sich wieder auf ihre Wurzeln besonnen und Zuflucht im Glauben gefunden. Sie hat, gegen den Wunsch meines Vaters, das Kopftuch wieder aufgesetzt und ist heute stolzer denn je auf ihren Glauben und ihre Kultur. Jeder ist verschieden. Wenn ihr zum (christlichen) Glauben findet, dann seid ihr erleuchtet oder geleutert. Aber wenn wir uns zum Glauben wenden, sind wir potenzielle Terroristen. Mit diesem Denken, ist die Ost-West-Vereinigung zum Scheitern veruteilt, bzw. das 4.Reich nicht mehr allzu weit entfernt.

  • S
    stulle

    Die Türkei ist ein Land mit einem enormen

    arm-reich-gefälle.

    Die unteren armen Gesellschaftsschichten merken,

    das im Kemalismus ihre Situation in den Jahrzehnten

    nicht besser geworden ist.

    Vom EU beitritt erwarten viele auch keinen sozialen

    Aufstieg mehr,weil sie denken das die EU-Gelder

    nicht bei Ihnen unten ankommen.

    Deshalb wenden sich viele vom Kemalismus ab und

    hoffen auf eine islamistische Gemeinschaft.

  • H
    Hkay

    Es wird hier immer nur von Islamisierung gesprochen.

    Aber habt ihr euch mal vor Augen geführt, dass 99 % der Türken Moslems sind???

     

    Außerdem spricht niemand davon, dass die AKP die wirtschaftliche Situation der Türkei in den vergangen 5 Jahren enrom verbessert hat.

    Vor der Wahl der AKP lag das Bruttoeinkommen pro Kopf bei 600$, mittlerweile liegt es bei 6500$.

    Sind dies nicht bedeutsameren Punkte die für eine Partei sprechen?

     

    Aprospros Kopftuchverbot.

    Sogar in Deutschland ist es muslimischen Frauen gestattet mit einem Kopftuch zu Uni zu gehen und in der Türkei soll es verboten bleiben?

    Ist das nicht unlogisch?

     

    Die Kemalisten regen sich selbstverständlich drüber auf weil sie das Volk nicht mehr ausbeuten können.

     

    Die Partei wird auf jeden fall verboten.

    Und es wird eine neue Partei, mit einem neuen Namen und den gleichen Zielen kommen die diesmal 70% bei der Wahl bekommt!

  • G
    Güler

    "Außerdem sollte ein Kopftuch tragen wer will, und wenn jemand das nicht will, dann eben nicht"

    Wunderbar, könnte das nur unterstreichen ABER wir kennen unsere Islamisten, die brauchen keinen direckten Zwang um eine Frau dazu zu bewegen eine Kopftuch zutragen, das machen sie durch die Hintertür indem sie gesellschaftliche druck auf alle Frauen ausüben die keinen Kopftuch tragen (sprich: moslem=Kopftuch, kein Kopftuch=kein Moslem, siehe Agypten und pakistan in der 60er) Naja ich werde wohl noch von einige hören das ich ein putschist bin oder sogar den Kemalismus als beleidung mir vorwerfen lassen aber warum denkt ihr wohl das diese Kopftuch verbot in den Hochschulen damal angeführt wurde!? Erdogan will ein islamische Staat, man braucht nur sein Werdegang zubeobachten und seine aussagen in letzte zeit zuhören dann kann der Herr nur eines Wollen und das ist bestimmt nicht die demokratie nach Westlichen Vorbild sondern Iran/Maleysia als beispiel!

    Grüsse von einem Linken der weis was die Alternativen sind!

  • PG
    Peter Gabriel

    Grundsätzlich bin ich der Ansicht, wir Allesbesserwisser sollten uns nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen. Hier sind wir jedoch involviert.

    Zu viel Türken und Türkinnen leben im Land. Wir können nicht davor die Augen verschließen, dass die Staatsanwaltschaft den Willen des Volkes "zurechtrückt", weder hier noch dort.

    Außerdem sollte ein Kopftuch tragen wer will, und wenn jemand das nicht will, dann eben nicht.

  • SS
    Stefan Scheuermann

    Irgendwie tragen alle AKP Demostranten auf dem taz Bild Kopftücher. Ich denke die Vorwürfe sind berechtigt. Das zurückgenommene Kopftuchverbot an Universitäten zeigt es doch, die Türkei wird immer mehr islamischer Staat!