Fußball in der Türkei: Sonne über Europa

Mit den Erfolgen von Fenerbahce wird der Fußball zur Projektionsfläche für türkische Sehnsüchte. Nächste Gelegenheit: Ein weiterer Champions League-Sieg gegen Chelsea.

Tor mit Wirkung: Fenerbahce-Stürmer Deivid (l.) feiert seinen Treffer zum 1:0 gegen den FC Chelsea. Am Ende gewann das Team aus Istanbul mit 2:1. Bild: dpa

KARLSRUHE/ISTANBUL taz Vor dem Viertelfinalhinspiel gegen den FC Chelsea aus London bedeckte ein riesiges Transparent eine der Kurven des Sükrü-Saracoglu-Stadions von Fenerbahce Istanbul. "The Rising Sun Over Europe", stand darauf in Englisch zu lesen: "Die aufgehende Sonne über Europa". Nach dem 2:1-Sieg gegen den großen Favoriten könnte Fenerbahce am Dienstag Abend nach dem Rückspiel als erste türkische Mannschaft den Einzug ins Halbfinale der Champions League feiern.

Im Fußball der Türkei geht es immer auch um Ruhm und Ehre für das ganze Land. "Wie nirgendwo sonst in der Welt gehören in der Türkei Fußballspiele schon immer zu den wichtigsten Projektionsflächen nationaler Selbstbestätigung", sagt der Soziologe und Fußballpublizist Tanil Bora. Dabei war Europa schon immer Referenzpunkt, schließlich ging die moderne türkische Republik aus einem Befreiungskampf gegen europäische Mächte hervor. In der Zeit des "großen vaterländischen Befreiungskrieges" unter dem späteren Republikgründer Mustafa Kemal wurden Siege gegen die Soldaten der Okkupationsmächte als legendäre Ereignisse nationalen Widerstandes gefeiert. Tausende kamen zu den Spielen in Istanbul und Izmir und feierten die Helden euphorisch. Stellvertretend für die kämpfende Armee errangen Fußballer Siege gegen die Besatzer und zeigten zugleich, dass man die Europäer selbst in dem von ihnen eingeführten Sport besiegen kann.

Das muss man wissen, um Überschriften zu verstehen, wie sie zum Beispiel die Zeitung Sabah nach dem Sieg Feners gegen Chelsea schrieb: "Kriterium in Kadiköy erfüllt!", war da in Anspielung auf die Beitrittsverhandlungen des Landes zur Europäischen Union zu lesen. Dabei sind die Türken in ihrer Beziehung zu Europa in einem Dilemma. Einerseits ist der von Staatsgründer Atatürk propagierte Weg des Nacheiferns gegenüber Europa Staatsräson. Andererseits herrscht ein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den Europäern, das oft zu trotzigen Reaktionen führt. Als Galatasaray 1993 Manchester United aus der Champions League warf, war damals der populärste Schlachtruf in den türkischen Fankurven: "Europa, Europa, höre unsere Stimme / höre den Klang der anmarschierenden türkischen Schritte."

Für Aziz Yildirim, den Präsidenten von Fenerbahce Istanbul, zählen vor allem Erfolge in Europa. Seit dem Uefa-Cup-Gewinn Galatasarays 2000 wird die heimische Liga mitunter als "Mummy-Liga" verspottet. Bauunternehmer Yildirim will Fenerbahce zu einer Weltmarke aufbauen wie Manchester United oder Real Madrid. Durch kluges Management, etwa durch den Aufbau funktionierender Merchandising- und Marketingabteilungen und den Ausbau des Stadions, hat er die Rivalen Besiktas und Galatasaray wirtschaftlich abgehängt. Auch durch Yildirims Lobbyarbeit dürfen in der türkischen Süperlig mittlerweile sechs Ausländer auflaufen.

Sieben Brasilianer, ein Chilene, ein Ghanaer, ein Serbe und mehrere in Europa geborene Spieler mit türkischen Wurzeln stehen im Kader des brasilianischen Trainers Zico. Zwei der Brasilianer besitzen mittlerweile die türkische Staatsbürgerschaft und belasten das Ausländerkontingent nicht mehr. Marco Aurelio, der jetzt Mehmet Marco Aurelio heißt, spielt sogar in der türkischen Nationalmannschaft. Prominentester Spieler aber ist der brasilianische Weltmeister Roberto Carlos, dem schon in der nächsten Saison der beim FC Barcelona unglückliche Ronaldinho folgen soll. Geld spielt bei Fenerbahce keine Rolle, um dereinst den Thron Fußball-Europas zu besteigen.

Der Optimismus vor dem Rückspiel bei Chelsea ist groß. "Porto und Monaco haben es ins Finale geschafft, warum nicht auch wir?", fragt der serbische Stürmer Mateja Kezman. Die Türkei ist ein Land der Extreme und geht mit Verlieren gnadenlos um. Als Besiktas in der Vorrunde der Champions League den FC Liverpool 1:0 besiegt hatte, wurden die Spieler als Helden gefeiert. Nach dem 0:8 an der Anfield Road zwei Wochen später schrieben die Zeitungen über sie: "Schande über euch!" Dass Fenerbahce in London untergehen wird, glaubt in der Türkei aber niemand. Ein Erfolg Feners würde wie nach dem Hinspielsieg wieder zwei Tage die Titelseiten der Zeitungen füllen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.